Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Reichenberger legt ihre Hand auf ihren Arm, sagt, dass sie schon gesehen habe, es seien sehr private Fotos. Sie werde die Ordner nicht öffnen, sie auf einen USB-Stick laden und ihr schicken – auch die Musik.
Julia nickt. Dann hat Frau Reichenberger bestimmt auch die Nacktfotos gesehen, jedenfalls einige davon. Julia merkt, wie sie rot wird.
»Sein Zimmer ist übrigens seit Anfang August wieder vermietet. Und hier ist unsere Adresse und Telefonnummer.« Frau Reichenberger legt eine Visitenkarte auf den Tisch. »Was ich noch sagen wollte, Julia, wir kennen dich noch nicht lange, aber wir wissen, wie wichtig du für Jonas warst. – Ich meine, ich wollte dir nur noch sagen, dass du immer willkommen bist bei uns, falls du mal nach Köln kommen möchtest. Und bitte nenn mich Birgit, wenn du magst.«
Jetzt muss Julia weinen. Es kommt einfach so. Die Tränen laufen. Birgit legt eine Hand auf ihre Hand, streichelt sie. Julia schaut auf ihren Ehering. Wie schön, so einen Ring zu haben, mit dem man mit seinem Liebsten verbunden ist.
»Das Leben geht weiter, hörst du!«, sagt Birgit tröstend. »Und deins liegt noch vor dir. Vergiss das nie!«
Julia wischt sich die Tränen mit einer Serviette ab, holt tief Luft. Es ist das erste Mal, dass das Weinen nicht weh-, sondern gutgetan hat. Sie fühlt sich besser. Schade, dass Frau Reichenberger – Birgit – wegzieht.
Sie sitzen noch ein Weilchen auf der Terrasse, schauen den Eiswürfeln beim Schmelzen zu, trinken einen Schluck, erzählen sich Geschichten über Jonas, lachen. Es ist ein bisschen so wie nach der Beerdigung von Oma Iris, als man sich beim Leichenschmaus lustige Anekdoten über Oma erzählt hat. Irgendwie erleichternd.
»Vielleicht nehme ich doch ein Stück Kuchen«, sagt Julia.
»Gute Idee!«, sagt Birgit. »Ich auch.« Sie ruft die Bedienung. Sie bestellen zweimal Pflaumen-Streusel mit Sahne.
»Hm, wie lecker«, schwärmt Julia. Es ist, als habe sie noch nie so einen saftigen Kuchen gegessen.
»Jonas konnte ja auch vorzüglich backen«, sagt Birgit mit vollem Mund. »Er hat mal eine englische Orangentorte gemacht. Stundenlang hat er daran herumgebastelt. Ein wahres Meisterwerk, sage ich dir. Mit Ingwer!«
»Ich kenne seine Erdbeertorte.«
»Ja, die ist auch köstlich!«
»Und sein Erdbeersorbet erst mal …«
»Und sein Steinpilzrisotto …!«, Birgit leckt sich die Sahne von den Lippen. »Vielleicht wäre er ja doch Koch geworden.«
KAPITEL 20
Im Kino
Vielleicht wusste Jonas ja schon vorher, dass ihm etwas passieren würde – oder er hat es geahnt. Deshalb hat er ihr auch den Film Der Himmel über Berlin empfohlen, damit sie »hinterher« versteht, wo er ist: noch bei ihr, aber nicht mehr mit ihr, weil er die Schwelle zurück ins Leben nicht übertreten kann. Und nur sie kann ihm dabei helfen, durch ihre Liebe.
Charly ist gekommen, sie sind in Julias Zimmer. Charlotte hockt wie immer auf dem Schreibtischstuhl und dreht sich hin und her. Sie hat die Haare ab. Eine Bürste braucht sie nicht mehr. Julia muss sich erst daran gewöhnen, Charly wohl auch. Julia erzählt ihr von dem Film und ihren Gedanken. Charly bremst sie abrupt und sagt, sie solle endlich mit dem Engelquatsch aufhören. »Du steigerst dich da in etwas rein – das ist doch absurd!«
»Engel sind nicht absurd«, sagt Julia. »Engel hat es immer schon gegeben, in jeder Kultur.«
»Aber das kannst du doch nicht auf die Realität übertragen. Da gibt es keine Engel – und schon gar nicht mit Flügeln, denn bei einem Körpergewicht von 60 bis 80 Kilogramm müssten die Flügel eine Spannweite von 10 bis 12 Metern haben.«
»Sie müssen ja gar keine Flügel haben, keine sichtbaren.«
»Julia, Engel sind von Menschen erfundene Wesen, die den christlichen Glauben verbreiten sollen. Seit wann glaubst du an Gott?«
»Ich glaube an Jonas, und dass er hier irgendwo ist und zu mir will, aber nicht kann – es ist, als würde er immer gegen Glas laufen.«
»Julia, er kann nicht zurückkommen, er ist tot! Tote kommen nicht zurück. Nie mehr. Das musst du langsam akzeptieren. Deine Katze ist damals auch nicht wiederauferstanden!«
In ihr zieht sich alles zusammen. Wie kann Charly nur so mit ihr reden?
»Tut mir leid, Julia. Aber ich möchte nicht, dass du dich derart in etwas reinsteigerst. Das macht doch alles nur noch viel schlimmer. Und es ist mir, ehrlich gesagt, unheimlich, wie du abdriftest. Das muss ich dir sagen, ich bin schließlich deine allerbeste Freundin und die
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