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Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Je mehr ich dir gebe (German Edition)

Titel: Je mehr ich dir gebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Dölling
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irgendwo hoch über Berlin auf einem Dach sitzt und sie bewacht, ihr Schutzengel, der nur einen Schritt in ihre Welt machen muss, um zu ihr zurückzukommen.
    Ihre Eltern sitzen am Frühstückstisch.
    »Nanu, schon so früh wach?«, fragt Papa. Es ist 7:45 Uhr. Er hat gleich einen Termin mit einem Kunden. Papa verkauft Labortechnik und verlässt gegen halb neun das Haus. Mama sitzt im Bademantel am Tisch und leistet ihm Gesellschaft.
    »Willst du Orangensaft?«, fragt sie.
    Julia nickt. Mama schneidet eine Orange auf, drückt die Hälften auf die elektrische Presse, schabt das Fruchtfleisch ins Glas. Kühl und süß schmeckt der Saft. Julia blinzelt nach draußen. Es scheint schon wieder die Sonne, der Himmel ist wolkenlos. Kein Brunnen in Sicht.
    »Kennt ihr eigentlich den Film Der Himmel über Berlin ?«
    Papa schaut sie an. »Von Wim Wenders?«, fragt er mit vollem Mund. »Klar! Haben wir den nicht zusammen angeguckt, Sabine?«
    Mama schüttelt den Kopf. »Nee, mein Schatz, vor 25 Jahren, da waren wir noch nicht zusammen.«
    »Ach, ist das schon so lange her?« Papa nimmt einen Schluck Kaffee. »Auf jeden Fall ist das ein toller Film, ein Stück Zeitgeschichte, Berlin in den 80ern. Stell dir vor, da gab es noch kein einziges Hochhaus am Potsdamer Platz.«
    »Nur die Mauer und Niemandsland«, sagt Mama. Papa nickt. »Völlig verwilderte Ecke. Davon gibt es doch Szenen in dem Film, wenn ich mich recht erinnere. Toller Film, wirklich, würde ich gern mal wieder sehen, schon allein wegen Bruno Ganz und Otto Sander.«
    »Das sind die Engel«, sagt Julia.
    »Und der eine Engel verliebt sich in eine Trapezkünstlerin, nicht wahr?«, sagt Mama.
    Julia nickt.
    »Wie romantisch!«
    »Er gibt sogar wegen ihr die Unsterblichkeit auf«, sagt Julia.
    »Wer?«, fragt Papa.
    »Na, der Schutzengel.«
    Papa schmunzelt. »Das hätte ich damals für deine Mutter auch getan.«
    »Charmeur«, sagt Mama. »Aber da kannten wir uns noch nicht mal«, beharrt sie. »Ich weiß noch genau, wie ich den Film mit Manuela, meiner Freundin, angeschaut habe, im Delphi Filmpalast, am Zoo. Da habe ich noch mit Iris und Conny in der WG im Wedding gewohnt, Bellermannstraße. Keine fünf Minuten von der Mauer entfernt. Tote Hose, kann ich dir nur sagen. Wir sind jeden Abend nach Schöneberg gefahren, ins Schneecafé …«
    Das war das Stichwort für die beiden, um in längst vergangenen Zeiten zu schwelgen. Papa muss nun auch von seiner WG erzählen. Normalerweise findet Julia das witzig, wenn die Eltern von den 80ern schwärmen, in ein Berlin abtauchen, das eingemauert war und abgeschirmt von der restlichen westlichen Welt.
    »Damals gab es hier jede Menge Künstler, Kriegsdienstverweigerer und Homosexuelle, die aus Westdeutschland gekommen sind«, sagt Mama jedes Mal.
    »Und wenn man gearbeitet hat, bekam man Berlinzulage , das war geschenktes Geld, ein Bonus dafür, dass man sich traute, im amerikanischen Sektor zu wohnen, mitten im Osten.«
    Julia will jetzt keine Geschichten aus den Zeiten des Kalten Krieges hören, aber wenn ihre Eltern erst mal mit dem Thema anfangen, sind sie nicht mehr zu stoppen. Sie würde viel lieber mehr über die Engel reden, aber Papa ist jetzt bei den Wessis angelangt, erklärt ihr, dass das damals eine abwertende Bezeichnung war, denn die Wessis waren alle Nichtberliner und die kamen aus Wessiland .
    »Es gab natürlich auch noch den Osten, aber dort kam ja keiner raus, jedenfalls keiner unter fünfundsechzig – Der Begriff Ossi wurde ja erst viel später gebräuchlich, nach dem Mauerfall …«
    Es hat wirklich keinen Sinn, mit den Eltern weiter über den Film zu sprechen.
    Gegen Mittag ruft Julia Jonas’ Mutter an. »Hallo?«
    »Hallo, Frau Reichenberger, hier ist Julia …«
    »Das ist aber nett, dass du mich so fix anrufst. Wie geht es dir?«
    »Es geht.« Julia traut sich nicht zu fragen, wie es ihr geht. Frau Reichenberger sagt, sie würde sich gern von Julia verabschieden, weil sie vorhaben, schon im September ganz nach Köln zu ziehen.
    »Hättest du heute vielleicht Zeit?«
    »Ja«, sagt Julia. »Von mir aus auch gleich.«
    Sie verabreden sich in Schöneberg, im Café Lentzig an der Eisenacher Straße.
    Julia fährt mit dem Fahrrad. Der Himmel ist wolkenlos, es weht ein leichter Wind, der ihr an jeder Hausecke unter den grünen Rock weht.
    Sie fährt schnell, auch bei Rot über die Ampel, und als sie ankommt, ist sie zehn Minuten zu früh, Frau Reichenberger noch gar nicht da. In Julia ist eine Unruhe,

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