Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Verschmelzung pur. Das Marihuana machte alles noch langsamer, inniger, intensiver. Alles um sie herum verschwamm; es gab nur noch Haut, Hände, Lippen, Lust. Keiner hatte ihr bis jetzt mit so viel Hingabe und Ruhe das Gesicht liebkost wie Jonas, den Hals, die Hände … Dann war es, als würden ihre Seelen die Körper verlassen, wie Nebel über einem See liegen und langsam in der Morgensonne verdunsten. Und später, wenn sie gemeinsam zurückkamen von ihrer Reise, stellten sie sich zusammen unter die Dusche, eng umschlungen, und ließen warmen Regen auf ihre Köpfe prasseln, dann war es, als würden sie zum Regen selbst. So weit kann sie mit Kolja nicht kommen.
Danach kochte Jonas meistens, und sie genoss es, wenn sie in der Zeit etwas anderes machen konnte, für sich – oder sich ausruhte und ihm etwas erzählte –, meistens erzählte sie von der Schauspielerei. Manchmal half sie ihm beim Gemüseschneiden, wobei sie Pläne schmiedeten für die Zukunft. Wenn sie es wirklich bis an die Filmschauspielschule schaffte, würden sie sich zum Rollenlernen in eine kleine Waldhütte verkriechen, irgendwo in Polen, an einem See, wo sie ganz allein waren. Jonas würde seine Gitarre mitnehmen, ihr was vorspielen und sich coole Eisformen ausdenken und sie auf Poster zeichnen – und sie natürlich bekochen.
Jetzt ist sie wieder durch die Spirale gerutscht und in einem Tunnel gelandet, der am Ende immer enger wird. Der einzige Lichtblick ist Jonas. Aber es bleibt dunkel.
Die Psychologin hat mal zu ihr gesagt, sie solle solche Gedanken stoppen, bevor sie sie am Schopfe packten und mitzögen, durch die Spirale, in den tiefen Tunnel. Du hast die Kraft, vorher STOPP zu sagen!
Ja, scheiße noch mal, aber das funktioniert nicht immer!
Ihr Handy klingelt. Kolja.
»Mensch, Julia, wo bist du?«
»Zu Hause.«
»Puh! Ich hab mir schon Sorgen gemacht!«
»Du musst dir keine Sorgen machen.«
»Hab ich aber. Wo warst du die ganze Zeit?« – Sie mag diese drängende Stimme nicht.
»Beim Schauspielunterricht.«
»Soll ich dich jetzt abholen?«
»Ich kann auch mit dem Rad kommen.«
»Ich würde dich aber lieber abholen.«
Sie hat keine Kraft, zu widersprechen.
Kolja ist sofort da, als hätte er unten am Haus gewartet. Schon an der Wohnungstür nimmt er sie in den Arm und küsst ihren Hals. »Da bist du ja, meine Schöne!« Er wirbelt sie sogar einmal herum. Wie in der Shampoo-Werbung, denkt Julia, – L’Oréal – weil ich es mir wert bin . Ihr ist ganz schwindelig von der stürmischen Begrüßung, aber sie muss laut lachen.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich über dein Lachen bin!«, sagt Kolja. Er strahlt. Seine Haare sind noch heller geworden, jetzt ist er ganz blond.
»Gefällt es dir?«
Sie nickt. Er hat nun die gleiche Haarfarbe wie Jonas.
Im Auto hören sie Amy Winehouse, All my loving . Julia geht die Musik bis in den Bauch. »Wahnsinnsstimme, nicht wahr? Was für ein Talent! Und jetzt ist sie tot.«
»War die nicht total fertig, immer nur breit?«
»Nein!«
»Aber sie hat doch nicht mehr viel auf die Reihe gekriegt.«
»Doch«, beharrt Julia. »Sie war eine leidenschaftliche, sensible Künstlerin. Ein Genie.«
Kolja kneift die Lippen aufeinander. Gut dass er nichts mehr sagt, obwohl sie spürt, dass er gern noch eine Bemerkung loslassen würde. Schade, dass er sie nicht versteht. Jonas stand auch nicht auf Nina Hagen, aber er ließ ihr ihre Bewunderung. Aus ganzem Herzen.
Sie fahren die York-Straße entlang, immer geradeaus – über die Gneisenaustraße, Hasenheide, immer geradeaus … hier ist sie schon oft mit Jonas langgefahren, auf dem Motorrad, die Arme um ihn geschlungen und den Kopf an seinen Rücken gelehnt. Einmal kam sie ins Summen, und als sie dann bei ihm angekommen waren, hat er sie gefragt, was sie da an seinem Rücken gesummt hätte.
»Ein Lied.«
»Was für ein Lied?«
Es war das erste Mal, dass sie ihm etwas vorgesungen hat. Erst war es ihr peinlich, weil Singen doch ein bisschen so ist wie sich ausziehen, und wenn man dann nicht so gut singen kann, so wie sie … auch wenn Jonas das Gegenteil behauptet hat.
»Du singst wie die Muse persönlich.«
»Das geht gar nicht. Die Muse ist keine Einzelperson.«
»Macht doch nichts«, hatte er gesagt und war auf sie zugekommen, hatte seine Arme um ihre Hüfte geschlungen, seinen Fuß zwischen ihre Füße gestellt. Sie wiegten sich, gingen vor und zurück. So fing ihr Tanz an.
»Woran denkst du?«, fragt Kolja.
»Ans
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