Je mehr ich dir gebe (German Edition)
wenn er uns jetzt sehen könnte. Und es macht mir wirklich nichts aus, dass du an ihn denkst, wenn wir zusammen sind, nichts ist schöner für mich, als bei dir und bei ihm zu sein. Ich habe sonst keine Menschen, die ich liebe.« Er setzt sich zu ihr aufs Sofa. Seine Stimme, sein Blick, eine Hand auf ihrem Arm – sie fühlt sich wie ein kleines Kind, das eine Dummheit gemacht hat. Der Trost tröpfelt in sie, als würde er ihn pipettenweise verabreichen. Sie kann jeden Tropfen spüren; jeder Tropfen wirkt – allein schon, weil er SEINEN Namen sagt: Jonas. Und immer wieder Jonas. Hört das denn nie auf?
Sie lässt ihren Kopf an Koljas Schulter sinken. Tränen kommen keine, aber in diesem Moment weiß sie, dass sie nie wieder einen Joint rauchen wird.
Es gibt Chili con carne und einen frischen Salat dazu. Julia isst nur von dem Salat. Das Chili con carne sieht genauso aus, wie Jonas es gemacht hätte. Kolja hält ihre Hand. Sie will in Ruhe den Salat essen.
»Es ist nichts. Vielleicht eine Magenverstimmung.«
Heute haben sie nicht für Jonas gedeckt. Das fehlt ihr.
Sie beobachtet, wie Kolja isst. Er schmatzt ein bisschen, macht sofort den Mund ganz zu, als er es bemerkt – als würde er sich einen Ruck geben, setzt sich auch gerade hin. Julia lacht. Er benimmt sich wie ein kleiner Junge, der ertappt worden ist.
»Warum lachst du?«
»Nur so.«
»Weißt du, dass du das schönste Lachen hast, das ich je gesehen habe?«
Sie kann jetzt keine Komplimente hören. Sie darf nicht ständig vergleichen, nicht Kolja mit Jonas messen. Sie ist ja froh, dass sie Kolja hat, wie lieb er sie umsorgt, und sie hat ihn ja auch lieb.
»Wie stehst du eigentlich zu deinen Eltern?«, fragt Julia, weil er vorhin gesagt hatte, er habe sonst keinen Menschen außer ihr und Jonas, den er liebe.
Kolja nimmt einen Schluck Wasser.
»Wieso?«
»Kommst du gut mit ihnen aus?«
»Es geht«, sagt er. »Meine Eltern sind schon ewig getrennt. Ich bin bei meinem Vater aufgewachsen. Meine Mutter lebt in Neuseeland. Sie ist damals mit so einem schnöseligen Banker abgehauen und hat eine neue Familie gegründet.«
»Und wie alt warst du da?«
»Acht.«
»Das muss ja hart gewesen sein.«
»Kann man wohl sagen. Aber mein Vater hat getan, was er konnte. Er hat auch schnell wieder eine neue Frau gehabt. Marlies. Dann haben sie Zwillinge bekommen, Yannik und Sven. Aber die sind noch klein.«
»Wie alt sind die denn?«
»Neun. Aber ich habe sie schon vier Jahre nicht mehr gesehen, nachdem sich mein Alter von ihr getrennt hat. Das war vielleicht mal ein Schaukampf. War ich froh, als sie weggezogen ist, mit ihren hyperaktiven Kindern. Echt, die waren nicht zu ertragen! Seit zwei Jahren wohnen mein Vater und ich hier, oder besser gesagt: Ich wohne hier. Du siehst ja, dass er kaum da ist. Wahrscheinlich hat er in Kottbus wieder was am Köcheln, ich kenn doch meinen Alten.« Kolja zieht eine Augenbraue hoch. »Sei froh, dass du Einzelkind bist.«
»Bin ich auch. Ehrlich gesagt, wollte ich nie Geschwister haben.«
»Möchtest du Nachtisch? Selbst gemachtes Erdbeersorbet?«
»Ich liebe Erdbeersorbet«, seufzt Julia.
Ihr geht es schon wieder besser. Die Schwere hat sich in eine Art Benommenheit verwandelt, die nun in leichte Kopfschmerzen übergeht. Wahrscheinlich kommt die Trübsal wirklich nur vom Kiffen.
Kolja nimmt ihre Hand, küsst jeden Finger, jede Fingerspitze, schmiegt seinen Mund in ihre Handfläche. Langsam verschwindet die Benommenheit, und Julia fühlt sich leichter, so leicht wie im Traum, wenn Jonas kommt und sie auf seinen Armen fortträgt.
KAPITEL 22
Der Traum
Julia steht auf einer Wiese. Sie hat Kniestrümpfe an, eine kurze Hose. Sie ist Mittelstürmerin. Jemand spielt ihr den Ball zu. Sie stoppt ihn und schießt ihn zu einem Jungen. Der Junge schießt den Ball zurück: gelungener Doppelpass! Julia ist stolz auf sich. Noch nie hat sie so gut Fußball gespielt und das Trikot sitzt wirklich perfekt.
Ihr ist schön warm, aber sie schwitzt nicht. Das T-Shirt fächert ihr beim Laufen frische Luft zu. Sie ist immer an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit, deswegen steht es schon 11 zu 0. Sieben Tore hat sie selbst geschossen, die anderen vier vorbereitet. Es sind noch nicht mal fünf Minuten der ersten Halbzeit vorbei.
Plötzlich fängt die Luft an zu flimmern. Sie sieht ein Flugzeug abheben, gleich hinter dem Fußballplatz. Dann kommt ein Junge aufs Spielfeld gerannt. Er trägt ein enges weißes Hemd. Es ist Jonas. Er rennt
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