Je mehr ich dir gebe (German Edition)
andere. Sie kichern. Inzwischen hat Anne zwei Zigaretten gedreht. Sie reicht Julia eine, quatscht noch ein bisschen mit den Typen rum und lässt sich Feuer geben. Die Jungs versuchen, sie beide zu überreden, doch noch mit in den Rettungsschwimmer zu kommen.
»Freischwimmer«, sagt Anne. »Und nebenan ist der Club der Visionäre.« Sie lacht, wendet sich Julia zu. »Jetzt sind sie bestimmt überfordert.« Sie ruft den Jungs noch »Viel Spaß« nach und fragt Julia, ob sie lieber mitgegangen wäre.
Julia schüttelt heftig den Kopf.
»Eben«, sagt Anne. »So schnuckelig waren die auch wieder nicht und du scheinst ja eh eine feste Beziehung zu haben.« Sie reicht Julia die brennende Zigarette. Julia zündet ihre damit an und inhaliert tief. Ihr wird schwindelig von dem ersten Zug. Der Tabak ist stark und bitter. Feste Beziehung – wie sie das gesagt hat – voll Verachtung.
»Ich muss jetzt los«, sagt Julia.
»Ach, was ich noch fragen wollte«, sagt Anne und lächelt sie an. »Kommst du nun mit?«
»Wohin?«
»Na, zu dem Treffen – zu unserer Sitzung. Montagabend 21 Uhr, in Charlottenburg, Bleibtreustraße 13.«
Julia zieht an der Zigarette.
»Die erste Sitzung kostet nichts«, sagt Anne.
Julia bläst den Rauch aus.
»Guck es dir doch einfach mal an. Das ist echt kein Hokuspokus. Okay? Kitty ist ein professionelles Medium, aus England. Eine gestandene Frau, die selbst ihren Mann in der anderen Welt hat und dadurch immer bei ihm sein kann, wenn sie will.«
»Andere Welt?«, fragt Julia. »Sie kann zu ihm, aber er nicht zu ihr?«
Anne zuckt mit den Schultern. »Das musst du sie selber fragen, wer zu wem kommt. Aber sie hat Beweise, dass die Toten in der anderen Welt weiterleben.«
Julias Herz rast, sie muss husten, tritt die Zigarette aus. Einen Moment sieht sie alles in Schwarz-Weiß.
»Wir wären zu viert.«
»Wer kommt denn noch?«
»Zwei Frauen.«
»Haben die auch jemanden verloren?«
»Ja. Klar.«
»Und du?«
»Ich?« Anne kratzt sich am Arm. »Ich mache eine Lehre bei Kitty. Hab ich dir doch schon gesagt, dass ich auch ein Medium werden will.«
In Julias Kopf schwirrt es wie in einem Bienenstock. »Okay«, hört sie sich sagen. »Ich kann’s mir ja mal anschauen.«
»Na dann«, sagt Anne und hüpft einen Hügel hinab: » See you on Monday! – Ich mail dir die genaue Adresse noch mal!«
Abends sitzt Julia mit ihren Eltern auf dem Balkon. Sie essen Salat mit Maultaschen, ihr Lieblingssalat, überhaupt kocht Mama – wenn sie kocht – nur noch ihre Lieblingsgerichte. Papa redet von einer Reise. Die Familie sollte eine Reise machen, in den Herbstferien in die USA fliegen, Julia hätte ja zwei Wochen Ferien, das würde sich doch lohnen, eine Woche New York und dann noch ein bisschen durch die Gegend fahren, Richtung Kanada. Das wäre doch was!
Mama schaut Julia an. Julia kann nur an Montag denken. An die Sitzung bei diesem Medium. Ihr Herz fängt sofort an zu klopfen, wenn sie es sich näher vorstellt: wie ihr Jonas erscheint und ihr endlich sagt, was er ihr die ganze Zeit schon in den Träumen sagen wollte, und dann in ihre Welt zurückkommt.
Eigentlich hat sie bislang weder an Gläserrücken noch an Séancen geglaubt, überhaupt nicht an übersinnliche Sachen. Das erste Mal war sie damit in der Schule konfrontiert worden, sechste Klasse, als Josi Berger eine Zeit lang Tarotkarten dabeihatte und jedem die Zukunft deuten wollte. Das war lustig, aber mehr auch nicht. Julia kann sich nicht mehr daran erinnern, was für Karten sie gezogen und was ihr Josi Berger dazu gesagt hatte, es war eh nichts Konkretes, die Antworten in Bildern verborgen, mit geheimnisvollen Sätzen, auf die man sich selbst einen Reim machen musste, welchen auch immer. So ähnlich wie bei der Traumdeutung. Alles Interpretationen, die man sich zurechtlegt, oder? Es verwirrt sie, weiter in diese Richtung zu denken. Paps’ Stimme holt sie aus den Gedanken.
»Hättest du denn Lust, nach New York zu fliegen?«
»Ja, klar. – Aber …«
»Was ›aber‹?«
»Na ja, ich habe vor den Herbstferien, Ende September, noch die Aufnahmeprüfung bei der Filmschauspielschule.«
»Ist doch prima. Dann kannst du dich nachher in New York richtig schön erholen.«
»Ich weiß nicht …«
Papa wird unruhig. Bestimmt hat er einen Begeisterungsausbruch erwartet.
»… es ist nur«, fährt Julia fort. »Ich glaube, mir ist das gerade alles zu viel.«
»Siehst du, Michael, das habe ich doch gleich gesagt«, fährt Mama ihn
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