Je mehr ich dir gebe (German Edition)
möglich im Bett.
Julia ist in einem Haus. Alles ist dunkel, es gibt keine Türen. Ein Schuh fällt vom Himmel. Es ist der zweite Schuh von Jonas. Er ist blutverkrustet. Sie nimmt den Schuh und spürt, dass Jonas hier irgendwo im Haus ist, sie geht nach oben, aufs Dach, da hockt er, im Schatten, farblos und nackt. Seine Arme um seine Beine geschlungen, den Kopf auf den Knien.
Sie geht zu ihm und legt ihm den Schuh vor die Füße. »Damit du nicht frierst!«
Er schaut an ihr hoch, zittert.
»Ich wusste, dass du hier bist«, sagt sie und knöpft ihre Bluse auf. Er hat keine Kraft zum Schauen. Sie legt sich neben ihn. Sie berühren sich zaghaft, küssen sich. Julia setzt sich auf ihn. Als er in sie eindringt – ganz langsam und nur ein kleines Stück –, hält sie inne. Etwas strömt durch ihren Körper, bis in die Fingerspitzen. Sie leuchtet. Um sie herum ist alles dunkel. Sie sind die einzige Lichtquelle. Julia und Jonas. Ihr Körper knistert, surrt. Elektrizität pur. Doch als sie tiefer gehen, fängt er plötzlich an zu schreien. Sie soll von ihm runtergehen! Schnell! Sein Gesicht eine schmerzverzerrte Maske.
Julia springt von ihm ab. Ihr ist eiskalt. Überall liegt Schnee.
Jonas wälzt sich am Boden vor Schmerzen. Der Schnee färbt sich rot, als hätte man Robbenbabys erschlagen, aber es ist Jonas, der vor ihren Augen verblutet. Sie nimmt den Schuh und rennt weg.
Als sie aufwacht, liegt sie auf Scherben; es sticht, brennt überall. Sie ist schweißgebadet, kriecht mit letzter Kraft aus dem Bett, auf allen vieren zur Tür, zieht sich an der Klinke hoch und ringt nach Luft. Wacklige, weiche Beine, wie angeklebt. Sie schafft es gerade so ins Bad und wirft sich kaltes Wasser ins Gesicht, in den Nacken, schreit auf, weil es so kalt ist. Eine Weile steht sie vor dem Spiegel und schaut sich an, erkennt sich nicht. Sie schlägt sich auf die Wangen, versucht, sich nur auf die Atmung zu konzentrieren, zählt jeden Atemzug mit … 19, 20, 21 …, versucht, langsamer zu zählen. Wie eine Schlafwandlerin geht sie in ihr Zimmer zurück und verkriecht sich ins Bett.
Sie steht den ganzen Abend nicht mehr auf.
Mama kommt nach oben, fragt, was mit ihr sei.
»Nichts«, sagt Julia und macht die Augen gar nicht auf. Die Tränen rinnen ihr über die Wangen und tröpfeln ins Ohr. Mama streichelt ihr über die Stirn.
»Meine liebe Julia, meine große Kleine, wenn ich dir doch nur helfen könnte.«
Julia kneift die Augen fester zusammen und schüttelt den Kopf.
»Bitte, geh doch wieder zu Frau Brausen. Ich kann dich nicht mehr leiden sehen.«
Julia schlingt die Arme um ihre Mutter. »Ach Mama, mach dir keine Sorgen. Ich habe mich mit Charly gestritten. Das ist alles.«
Sie glaubt es selbst, so überzeugend, wie sie es sagt. Das ist alles.
Dabei ist ihr, als würde jemand in ihren Gedärmen herumschneiden.
Eine Schere sticht nicht, sie schneidet … Ach, wäre doch nur Jonas bei ihr!
Am nächsten Tag ist Charly nicht zu erreichen. Das tut weh. Kolja ist da, bei ihr, in ihr, mit ihr. Er ist wieder so lieb, sagt ihr, sie solle ruhig dabei an Jonas denken.
Jonas.
Er begleitet sie durch all die Schatten in den helllichten Tag. Und sobald die Dramatik der Nachtträume verglüht ist, lädt er ihren Akku wieder auf. Sie fühlt den Strom, der zwischen ihnen fließt, und weiß nun, dass er sie sehen kann.
Im Schauspielunterricht spielt sie nur für ihn und hat das erste Mal wieder Freude am Sprechen, steht aufrecht, kommt mit ihrem Atem aus, spürt seinen Blick in ihren Augen; wird sehr gelobt, nicht nur von Herrn Lambosi, auch von der ganzen Truppe.
KAPITEL 24
Drei kleine Sterne
Julia kommt gerade vom Schauspielworkshop. Heute war schon der dritte Tag, morgen ist der letzte. Es ist anstrengend, aber schön. Herr Lambosi hat gesagt, sie habe wirklich Talent. Sie würde die Aufnahmeprüfung locker schaffen. Helen habe auch große Chancen. Schade, dass sie heute so schnell wegmusste, Julia wäre gern noch mit ihr einen Kaffee trinken gegangen.
Sie geht durch den Görlitzer Park. Dealer sitzen auf den großen Steinen neben den Eingängen, ein paar Jungs spielen Frisbee mit freiem Oberkörper, eine Horde Hunde mit Halstüchern trottet neben zwei Punks her. Im Gras sitzen Grüppchen und trinken Bier. Über ihr fliegt ein Schwarm Krähen auf. Julia duckt sich. Am Wannsee sind Touristen von Krähen attackiert worden, hat sie gestern in der Berliner Zeitung gelesen, wie in Hitchcocks Film Die Vögel . Sie seien im Sturzflug
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