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Je mehr Löcher, desto weniger Käse

Je mehr Löcher, desto weniger Käse

Titel: Je mehr Löcher, desto weniger Käse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Dambeck
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Rechenwege können sogar zum Problem werden. Und zwar dann, wenn die Kinder sich dabei verrechnen. Sie haben sich zwar eine eigene Lösungstechnik ausgedacht – was eine große Leistung ist –, dabei aber einen kleinen Fehler gemacht mit der Folge, dass das Ergebnis nicht stimmt. Erwachsene erklären dann schnell mal, dass man so nicht rechnen könne. Irgendwann heißt es dann vielleicht sogar, das Kind habe in Mathe Probleme – und schließlich glaubt es das auch selbst und verliert das Interesse an dem Fach.
    Die Exaktheit der Mathematik macht die Sache nicht leichter. Eine Lösung, das lernen Kinder ziemlich schnell, kann nur richtig sein oder falsch – dazwischen gibt es nichts. Die Gefahr ist groß, dass Kinder falsch als Misserfolg oder gar als Demütigung erleben.
    Dabei sollte jedem klar sein: Menschen machen Fehler, auch und gerade beim Rechnen. Didaktiker wie Inge Schwank von der Universität Osnabrück verlangen daher einen konstruktiven Umgang mit Fehlern. Sie sind nicht etwa ärgerlich oder peinlich, sondern »ein willkommener Anlass für eine Diskussion«. Und damit hat sie völlig recht.
    Lehrer oder Eltern, die vor allem auf den Fehlern herumreiten, helfen Kindern nicht – im Gegenteil. Wer will schon immer wieder hören, was er bereits alles falsch gemacht hat?Viel besser ist, das zu loben, was gut gemacht wurde. Hinter einem falschen Ergebnis stecken schließlich trotzdem viele richtige Gedanken. Positives Feedback, das weiß ich aus eigener Erfahrung nur zu gut, motiviert, dranzubleiben und es bei der nächsten Aufgabe besser zu machen.
    Ein wohl noch größeres Problem im Mathematikunterricht ist die Neigung vieler Lehrer, den Kindern einen bestimmten Lösungsweg vorzuschreiben. Dabei gehen Schüler erwiesenermaßen sehr verschiedene Wege – nicht nur wenn sie im Deutschunterricht über ihre Erlebnisse berichten sollen, sondern auch im Fach Mathematik.
    Spiegel und Selter schildern eine Situation aus einer 1. Klasse. Es geht darum, wie man rechnet, wenn bei einer Plus-Aufgabe ein Ergebnis größer als 10 herauskommt. Der Lehrer hat den Kindern erklärt, dass sie zunächst bis zu 10 ergänzen und dann den Rest zur 10 hinzuzählen sollen. Bei 7   +   6 wird also erst 7   +   3   =   10 gerechnet und dann 10   +   3   =   13. Der Lehrer möchte mit Timo nun eine solche Aufgabe durchrechnen.
    Lehrer: Wie viel ist 9   +   4?
    Timo: Wenn es 10 wären, wären es 14, weil 5   +   5 ist ja 10, und 4 dazu ist 14, aber es ist ja 5   +   4.
    Haben Sie eine Ahnung, was Timo sich da überlegt hat? Der Lehrer jedenfalls erkennt es nicht.
    Lehrer: Wer kann es Timo noch mal erklären?
    Sina: Du musst rechnen 9   +   1   =   10 und dann noch die 3 dazu macht 13!
    Lehrer: Hast du es verstanden, Timo?
    Timo: (nickt, wirkt aber nicht überzeugt)
     
    (aus Spiegel/Selter: »Kinder und Mathematik«)

     
    Der Schüler hat den Rechenweg des Lehrers wohl eher nicht verstanden. Wahrscheinlich wollte er einfach nur seine Ruhe haben. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Denn wenige Minuten später erklärt der Lehrer der Klasse: »Der Timo hat große Schwierigkeiten in Mathematik! Manchmal glaube ich, er hört mir nicht richtig zu.«
    G ott existiert, weil die Mathematik widerspruchsfrei ist, und der Teufel existiert, weil wir das nicht beweisen können.
André Weil (1906–1998), französischer Mathematiker
    Was für ein Unsinn! Es ist der Lehrer, der richtig zuhören müsste. Hätte er das getan, wüsste er, dass Timo sogar sehr geschickt im Umgang mit Zahlen ist. Der Schüler wollte nämlich nicht umständlich erst 9   +   1 rechnen und dann 10   +   3, sondern 10   +   4, um vom Ergebnis wieder 1 abzuziehen. Ein cleverer Rechentrick, aber Timo ist nicht mehr dazu gekommen, ihn anzuwenden. Schade!
    Wenn Kinder Mathematik jedoch nur als Fach erleben, in dem vom Lehrer vorgegebene Lösungstechniken immer und immer wieder geübt werden, ohne dass sie verstanden worden sind, kann natürlich kein Spaß aufkommen. Dass Mathematik sehr viel mit Kreativität und Ausprobieren zu tun hat, erfahren die Schüler so nicht.
    Mir selbst ging es in der Schule ganz ähnlich. Das spielerische, kreative Element der Mathematik habe ich mehr zufällig kennengelernt, als ich nachmittags nach der Schule versuchte, Knobelaufgaben zu lösen – als Training für die Mathematikolympiaden. Und dabei habe ich immer wieder festgestellt, dass es oft mehrere, teils sehr verschiedene Wege gibt, zum Ziel zu

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