Je mehr Löcher, desto weniger Käse
spannend, Rätsel zu knacken, die auf den ersten Blick unlösbar erschienen. Oft konnte ich dabei sehr elegante Wege entdecken.
Wir haben im letzten Kapitel gesehen, dass der typische Matheunterricht leider ganz anders aussieht. Es ist daher kaum verwunderlich, dass viele meiner Kollegen und Bekannten Mathe als dröges Fach in Erinnerung haben. Es ist aber noch viel schlimmer: Was bis heute in vielen Schulen im Matheunterricht geschieht, hat mit Mathematik wenig zu tun. Es gleicht eher einer Verhöhnung des Fachs.
S o sonderbar es klingen mag, die Stärke der Mathematik beruht auf der Vermeidung aller unnötigen Gedanken, auf der größten Sparsamkeit der Denkoperationen.
Ernst Mach (1838–1916), österreichischer Physiker und Philosoph
Paul Lockhart, ein Mathematiker und Lehrer aus Brooklyn, hat seine Empörung darüber, wie Kinder Mathematik erleben, in einem lesenswerten Aufsatz zu Papier gebracht. »Lamento eines Mathematikers« heißt der englischsprachige Text, der 2009 als 140-seitiges Buch erschienen ist.
Lockhart beginnt seinen Aufsatz mit einer Fiktion: Ein Musiker hat einen schrecklichen Albtraum. Er lebt in einer Gesellschaft, in der die Musikausbildung verbindlich ist für jedermann. Das klingt zunächst weniger schlimm. Doch die obligatorische Musikausbildung besteht darin, dass die Kinder von früh bis spät Notenblätter beschreiben. »Wir helfen den Schülern, in einer mit immer mehr Tönen gefüllten Welt wettbewerbsfähig zu sein«, lautet das Credo.
Und so büffeln die Kinder Musiktheorie, schließlich sollen sie die Sprache der Musik sicher beherrschen, bevor sie anfangen zu singen oder gar eine Gitarre in die Hand nehmen. Musik hören und selber spielen und erst recht das Komponieren gelten als so anspruchsvoll, dass sie frühestens an der Universität Thema sind.
Weil Kinder das Notenschreiben langweilig finden, müssen viele Eltern für sie eine Musiknachhilfe engagieren. Die Lehrer räumen ein, dass die Schüler eine Menge Stoff lernen müssen. Aber später an der Uni, wenn sie das Aufgeschriebene dann zu Gehör bekommen, würden sie die Arbeit schätzen, die an den Schulen geleistet werde, erklären sie.
Das Ganze klingt so bizarr, dass jeder sofort sagt: Musik auf Notenschreiben reduzieren – das ist einfach undenkbar. So etwas Absurdes würde eine Gesellschaft niemals machen.
Das Dumme ist aber: In der Mathematik geschieht genau dies. Statt kreativ nach eigenen Lösungswegen zu suchen, büffeln Kinder Formeln, die nur wenige wirklich verstanden haben. Die Folgen des Eintrichterns von Lösungstechniken kennen Sie bereits. Da rechnen Kinder ohne nachzudenken Ziegen und Schafe zu Jahren zusammen. Oder sie glauben, dass sie 30 Jahre alt sind, weil sie 10 Bleistifte und 20 Buntstifte in ihrer Schulmappe haben.
Kunst oder Buchhaltung?
Dass Mathematik eine Kunst ist, dürfte diesen Kindern kaum in den Sinn kommen. Sie erleben es ja als ein Fach, in dem sie Aufgaben mithilfe unverstandener Tricks schematisch abarbeiten. Die Ästhetik und Klarheit einer guten mathematischen Idee haben sie nie gespürt – wie auch die meisten Erwachsenen nicht. Und so wird die Mathematik in unserer Kultur bis heute nicht als Kunst anerkannt, obwohl das Fach in einer Reihe stehen sollte mit der Musik und der Malerei.
Dahinter steckt letztlich auch fehlendes Wissen darüber, was Mathematiker eigentlich tun. Diese sind keinesfalls die rationalen Buchhalter, für die sie die meisten Menschen halten. Ihre Arbeit gleiche vielmehr der eines »poetischen Träumers«, sagt Lockhart. Mathematik sei »die reinste Kunst und zugleich die am häufigsten missverstandene«.
Gemeint ist damit übrigens nicht, dass es nur wenigen Auserwählten vergönnt ist, ein wahrer Künstler zu sein. Es geht vielmehr um das kreative, spielerische Element der Mathematik, das weithin unbekannt ist. So wie ein Mensch singen, malen oder tanzen kann, ohne es studiert zu haben, kann er auch kreative mathematische Ideen entwickeln. Und so wie er mit Genuss einem schönen Song aus dem Radio zuhört, kann er auch geniale Winkelzüge aus der Geometrie bewundern, auch ohne sie zwingend selbst entdeckt zu haben.
Ich möchte Ihnen an mehreren Beispielen zeigen, warum Mathematik etwas ganz anderes ist, als viele glauben. Die kleinen Rätsel habe ich in verschiedenen Büchern entdeckt, unter anderem von Martin Gardner und Paul Lockhart. Ich habe sie ausgewählt, weil sie sämtlich sehr leicht zu verstehen sind und zugleich illustrieren, wie
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