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Je mehr Löcher, desto weniger Käse

Je mehr Löcher, desto weniger Käse

Titel: Je mehr Löcher, desto weniger Käse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Dambeck
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nur für die richtige Lösung Punkte gab, sondern auch für den Rechenweg, zeigte die Lehrerin die Arbeit zwei Kollegen. Die hatten ebenfalls den Eindruck, dass dahinter kaum eine sinnvolle Rechnung stecken konnte und Annika das richtige Ergebnis womöglich einfach nur abgeschrieben hatte.
    Am nächsten Tag ließ die Lehrerin Annika die Aufgabe noch einmal an der Tafel rechnen – heraus kamen derselbe Rechenweg und das richtige Ergebnis. Daraufhin fragte die Lehrerin, ob jemand die Kalkulation erklären könne. Ein Schüler meldete sich und erläuterte den Rechenweg folgendermaßen: 100 g sind zwei 50-g-Tüten, 700 g also 2   ×   7   =   14 Tüten. Die fehlenden 50 g der 750 g stecken in der Rechnung 1   ×   1   =   1. Fehlen noch die 1000 g, und da sind es 2   ×   10   =   20 Tüten. Die Summe dieser drei Zahlen 14   +   1   +   20 ergibt 35 Tüten.

    Annika hatte noch mal Glück gehabt. Für Hartmut Spiegel von der Universität Paderborn zeigt ihr Fall, dass es äußerst wichtig ist, seltsam erscheinende Rechenwege nicht einfach so abzutun. »Überlegungen von Schülern sind oft vernünftiger, organisierter und intelligenter, als wir Erwachsene es oberflächlich wahrnehmen«, sagt er.
Verkannte Genies
    Spiegel rät Eltern und Lehrern, genau hinzuschauen und zuzuhören, wenn Kinder ihnen falsche oder unverständliche Antworten geben. Bei genauer Betrachtung zeigen diese Antworten häufig, dass die Kinder durchaus richtig gedacht haben, nur eben anders, als es die Erwachsenen erwartet haben. »Die Denkwege von Kindern sind manchmal so intelligent, dass wir als Erwachsene große Schwierigkeiten haben, sie in ihrer Originalität und Kreativität zu erkennen«, sagt Spiegel.
    Der Zweitklässler Sven ist ein klassisches Beispiel dafür. Seine große Liebe gilt dem Fußball. Aufmerksam verfolgt er, mit wie vielen Punkten die Spieler in einer Zeitung bewertet werden. Eines Tages kommt er auf die Idee, die Punkte für seine Lieblingsmannschaft zusammenzurechnen. Dabei entdeckt er einen Trick, auf den er äußerst stolz ist. Um die zwölf Zahlen
    9, 12, 10, 11, 8, 10, 9, 8, 12, 11, 10, 12
    zu addieren, geht er sie durch und sagt: »119, 121, 121, 122, 120, 120, 119, 117, 119, 120, 120, 122«. 122 ist tatsächlich das richtige Ergebnis. Wie aber hat Sven gerechnet?
    Der Zweitklässler hat einen cleveren Trick genutzt: Allezwölf Punktzahlen liegen nahe bei der Zehn. Also rechnet Sven erst einmal 12   ×   10   =   120. Dann addiert er bei jeder der zwölf Zahlen den Abstand zur Zahl 10 hinzu. Bei der ersten Zahl 9 ist dies 9   –   10   =   –1, also ergibt sich 120–1   =   119. Bei der zweiten Zahl 12 ergibt sich 12   –   10   =   2, also 119   +   2   =   121, und so weiter. Ein intelligentes Verfahren, mit dem Sven flott addiert und zudem das Herumjonglieren mit immer größeren Zahlen vermeidet.
    Ganz ähnlich wie Sven hat übrigens auch der große Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777–1855) angefangen. Als Siebenjähriger saß er in der Grundschule gemeinsam mit älteren Kindern in der Klasse. Sein Lehrer Büttner stellte die Aufgabe, alle Zahlen von 1 bis 100 zu addieren. Gauß fand die Lösung 5050 im Handumdrehen, während seine älteren Mitschüler sich durch die langen Zahlenkolonnen quälten.
    Der Lösungsweg des kleinen Carl Friedrich hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Svens Rechentrick. Gauß ordnete die hundert Zahlen einfach paarweise an. Er schrieb:
    1   +   100, 2   +   99, 3   +   98, 4   +   97, …, 50   +   51
    Damit stand das Ergebnis schon da: Die Zahlenpaare ergeben nämlich jeweils 101, und weil es genau 50 davon gibt, ist die gesuchte Summe 50   ×   101   =   5050. Büttner, der Lehrer von Gauß, erkannte das Talent des kleinen Carl Friedrich. Er sorgte dafür, dass Gauß finanzielle Unterstützung vom Hofe bekam und studieren konnte.
    Solche schlauen Rechenwege, wie sie Sven oder der kleine Gauß gefunden haben, trauen viele Grundschullehrer ihren Schülern übrigens nicht einmal zu. Oliver Thiel hat 2004 die Lehrer von 40 ersten Klassen aus Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen befragt. Nur knapp 40 Prozent derLehrkräfte glaubten, dass die Kinder eigene Lösungswege finden können, ganze 26 Prozent sprachen ihnen diese Fähigkeiten vollständig ab. Gauß hatte vor mehr als 200 Jahren Glück mit seinem Lehrer Büttner, aber er bräuchte dies leider auch heute, um als Talent erkannt zu werden.
Bloß keine Fehler machen
    Schlaue

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