Je sueßer das Leben
früh um neun Uhr zu starten …« Julia hält inne.
Madeline schnarcht leise – sie ist einfach eingenickt. Ihr Gesicht ist schlaff, und sie macht mit offenem Mund kurze, flache Atemzüge. Julia betrachtet sie, erfüllt von einer fast mütterlichen Zärtlichkeit. Madeline, die Julia ihr Haus und ihr Herz geöffnet hat, sieht plötzlich zerbrechlich und verletzlich aus, und Julia überkommt das Bedürfnis, sie zu beschützen.
Leise schiebt sie ihren Stuhl zurück und steht auf, dann legt sie Madeline sanft den Arm um die Schulter und hilft ihr auf die Beine. »Nur langsam«, sagt sie leise und fragt sich, wie sie Madeline die Treppe hochbekommen soll.
Der Ausdruck der Erleichterung und des Glücks auf ihrem Gesicht ist unübersehbar, als genau in diesem Moment Mark mit einem kleinen Strauß Blumen in den Teesalon spaziert.
Mark ist nach dem Treffen mit dem angenehm nüchternen Ted Morrow von Bluestem Estates noch immer in Hochstimmung. Sie planen, insgesamt achtzig Häuser in drei Phasen zu errichten. Die Häuser sollen unter Verwendung innovativer Materialien und Verfahren hohen Ökostandards entsprechen und zugleich schlicht sein. Lemelin zu verlieren war natürlich ein Schlag, und auch Vivian wird ihnen fehlen. Es wird schwer werden, einen Ersatz für sie zu finden, aber Mark und Victor haben übereinstimmend festgestellt, dass sie gut ohne ständiges Drama auskommen. Sollen doch die Überflieger Luftschlösser bauen. Sie beide werden sich stattdessen auf vernünftige, solide Projekte konzentrieren. Mark hat endlich kapiert, welche Vorteile das hat.
Er wirft einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett, es ist später, als er dachte. Die Unwetter der letzen Tage haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Merkwürdig, für viele Leute geht das Leben ganz normal weiter, während andere aus ihren Häusern vertrieben wurden und nichts mehr so ist, wie es einmal war.
Während der Fahrt denkt Mark über das Bluestem-Projekt nach, er hat schon eine Menge Ideen dazu. Solange Mark bestimmte Vorgaben und das Budget einhält, gibt ihm Ted Morrow freie Hand, und er kann seiner Kreativität ungehindert Lauf lassen. Mark weiß, dass 65 Prozent des Stromverbrauchs im Land auf das Konto von Gebäuden gehen und dass der Bau von Wohnhäusern unendlich viel Müll produziert. Eine stärkere ökologische Ausrichtung beim Bauen bedeutet daher nicht nur, dass die Häuser für die Bewohner sparsamer im Verbrauch sind, sondern auch besser für die Umwelt. Umweltfreundlichkeit ist natürlich inzwischen ein reichlich abgenutztes Schlagwort, aber Mark glaubt dennoch, dass sich schon viel erreichen lässt, wenn man entsprechende Baumaterialien verwendet und dafür sorgt, dass die Wasser- und Energieversorgung effizient ist. Sie können innovative Häuser entwerfen, die umweltfreundlich und trotzdem wohnlich und praktisch sind. Das stellt sie vor eine ganz andere Aufgabe als ein glamouröses Luxusrestaurant, kann aber sowohl für ihr Geschäft als auch für die Umwelt einen nachhaltigen Effekt haben. Und verstecken müssen sie sich damit gewiss nicht, findet Mark.
Er hält am Mini Mart, weil er tanken muss. Als er hineingeht, um zu zahlen, sieht er einen Eimer mit Wiesenblumensträußen. Er fragt nicht einmal nach dem Preis, sondern nimmt einfach den Strauß, der ihn am meisten an seine Frau erinnert – wild, sinnlich und schön.
Ein paar Minuten später fährt er vor Madelines Teesalon vor und ist überrascht über die vielen Autos, die nicht nur den Parkplatz, sondern auch die gesamte Straße zugeparkt haben. Es dauert eine Weile, bis er eine Parklücke gefunden hat. Avalon ist ein verschlafenes Städtchen, in dem normalerweise bei Einbruch der Dämmerung die Bürgersteige hochgeklappt werden. Bei dem munteren Treiben, das an diesem Abend herrscht, könnte man dagegen meinen, hier würde eine riesige Party stattfinden.
Er hält zwei Frauen die Tür auf und folgt ihnen ins Haus. Er ist schon oft daran vorbeigefahren, aber er war noch nie drinnen. Es steht nicht unter Denkmalschutz, obwohl es in dem historisierenden Baustil des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, der typisch für Avalon ist. Das Haus hat Charakter und strahlt Wärme und Charme aus, findet er. Madeline kennt er nur vom Telefon, von dem Abend, als Julia eingeschlafen und bis Mitternacht weggeblieben war. Über diesen Abend hat er nie richtig mit Julia gesprochen. Früher hätte er eine Erklärung von ihr verlangt, aber jetzt kann er warten, bis Julia bereit ist, ihn
Weitere Kostenlose Bücher