Je sueßer das Leben
Ausgabe aufzukommen. Als sie wenig später feststellten, dass sie auch neue Laken für das neue Bett brauchten, lachten sie nur – dann würden sie eben noch ein wenig mehr arbeiten müssen. Und das taten sie auch.
Julia weiß, dass sie etwas unternehmen könnte. Wenn sie wieder anfinge zu arbeiten, hätten sie mehr Geld zur Verfügung, wobei Marks Geschäfte allmählich besser laufen und sie immer noch Ersparnisse haben. Früher hat Julia gerne gearbeitet, aber sie kann sich nicht vorstellen, wieder bei Bertram Berry anzufangen, dem kleinen Farbenhersteller in Freeport, wo sie für das Personal zuständig war. Sie will nicht aufmunternd angelächelt werden, nicht auf die ewig gleiche, mit verständnisvoller Stimme gestellte Frage antworten, die aus vier schlichten, aber nichtsdestoweniger aufdringlichen Worten besteht: »Wie geht es dir?«
Wie geht es ihr? Mal sehen. Sie hat ein Kind und ist doch kinderlos. Sie ist mit einem Mann verheiratet, der ihre erste und einzige Liebe ist, ein Mann, der sich in einen Fremden verwandelt hat, dem sie gelegentlich im Flur ihres gemeinsamen Hauses begegnet. Ihre Eltern sind in das sonnige Florida geflüchtet, von wo übertrieben fröhliche Postkarten kommen, die nichts mit dem, was sie hinter sich ließen, zu tun haben. Canasta! Dichterlesungen! Besuch der Schmetterlingswelt – Gracie wäre begeistert! Ruf an! Komm! Wir vermissen dich! Wie geht es dir?
Wie geht es ihr. Das ist keine Frage mehr, sondern eine Feststellung. Diese Frage ist im Grunde nämlich sinnlos – wie geht es einer Frau, die ihren Sohn verloren hat?
Julia war nicht dabei, als es passierte. Sie kennt Livvys Bericht und den des Rechtsmediziners, aber das, was sie vor sich sieht, ist das:
Es ist der 26. Mai. Vor fünf Jahren. Livvy holt den zehnjährigen Josh von der Schule ab. Er hätte eigentlich noch anderthalb Stunden Basketballtraining, aber der Trainer, einer der Väter, hat abgesagt, weil er krank ist. Julia und Mark haben in der Klinik einen Termin zur Ultraschalluntersuchung, daher ruft sie wie schon so oft ihre Schwester an und bittet sie einzuspringen.
Livvy hat ein Meeting, verspricht aber, Josh nach Hause zu bringen, wo er seine Hausaufgaben machen soll. Die Babysitterin wird da sein und Livvy ablösen, damit sie zurück ins Büro kann.
Tante und Neffe plaudern miteinander, als sie vor Julias Haus – nein, Livvys Haus halten. Livvy will endlich den schwarzen Rock, den sie sich von Julia geliehen hat, zurückgeben, daher fahren sie schnell bei ihr vorbei, bevor sie Josh nach Hause bringt.
Livvy parkt in der Einfahrt, stellt den Motor ab und rennt über den Rasen zur Eingangstür ihres mit vierhundertfünfzig Quadratmetern viel zu großen Hauses. Sie bemerkt, dass sich im Trinknapf des Hundes Dreck angesammelt hat, Blätter wahrscheinlich, und bittet Josh, dem Hund frisches Wasser zu geben. Obwohl sie in spätestens zehn Minuten wieder losfahren, betätigt Livvy automatisch mit der Fernbedienung die Zentralverriegelung, bevor sie ins Haus läuft. Es piept, und die Scheinwerfer blinken auf, als sich die Türen verriegeln.
Julia stellt sich vor, wie ihr Sohn zu dem Hundenapf auf der Veranda läuft und das alte Wasser in die Büsche gießt. Er geht zu dem Wasserhahn auf der Seite des Hauses. Ohne jede Vorwarnung sticht ihn eine wütende Wespe in die Fingerspitze.
Josh muss sofort gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt. Wahrscheinlich ruft er nach seiner Tante, aber Livvy hält sich im ersten Stock des Hauses auf und kramt in ihrem Schlafzimmerschrank nach dem Rock, den sie schon vor Monaten hätte zurückgeben sollen. Sie hört ihn nicht. Josh taumelt ein paar Schritte, dann bricht er zusammen. Ein Mann, der in seinem Auto vorbeifährt, sieht den Jungen und bleibt stehen, um ihm zu helfen, aber es ist zu spät.
Triumphierend kommt Livvy aus dem Haus, den Rock wie eine Trophäe in der Hand. Sie braucht einen Moment, um zu begreifen, was sie da vor sich sieht. Josh liegt auf dem Boden, vor ihm ein Mann, mitten auf der Straße steht ein Auto mit offener Fahrertür. Zuerst denkt Livvy, dass Josh von dem Auto angefahren worden ist.
Ein Nachbar wählt den Notruf –der Notarzt ist innerhalb von fünf Minuten da. Sie führen Wiederbelebungsmaßnahmen durch und befragen Livvy, und in dem Moment fällt es ihr ein.
»Er hat eine Bienen- und Wespengiftallergie«, sagt sie und dreht sich zu ihrem Honda Pilot, der mit verriegelten Türen in der Einfahrt steht. Joshs Rucksack mit dem EpiPen liegt auf
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