Je sueßer das Leben
sicher.«
»Natürlich. Und das werden Sie zu gegebener Zeit auch sein, Hannah. Aber fürs Erste werden Sie sich mit der Unsicherheit wohl arrangieren müssen. Pläne sind ohnehin nur dazu da, sie zu ändern. Mein Gott, wenn ich meinen Plan, nach Chicago zurückzukehren, in die Tat umgesetzt hätte, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Daran ist nur meine schlechte Durchblutung schuld!« Sie lacht.
»Ihre Durchblutung?«
»Sonst hätte ich nicht angehalten, um mir die Beine zu vertreten, und wäre einfach durch Avalon durchgefahren.« Madeline tätschelt ihre Schenkel. »Ich sollte meinem alten Körper wirklich dankbar sein.«
Das versteht Hannah. »Das denke ich über meinen Körper auch. Als ich noch professionell gespielt habe, hat er mir viele schöne Jahre geschenkt.«
»War es schon immer Ihr Traum, Cello zu spielen?«
Hannah kann sich ein Leben ohne Cello gar nicht vorstellen. »Als ich mit dem Spielen angefangen habe, war ich wahrscheinlich zu jung, um eine Ahnung zu haben, was es bedeutet. Aber es war der Traum meiner Eltern. Besonders der meines Vaters.« Sie erinnert sich noch an das betroffene Schweigen am anderen Ende der Leitung, als sie ihm mitteilte, dass sie nicht mehr professionell spielen könnte. »Nach dem Tod meiner Mutter ist er nach Taiwan zurückgekehrt. Wir reden nicht oft miteinander.«
»Wirklich?«
»Das liegt auch an der Zeitdifferenz, aber im Grunde haben wir uns nicht viel zu sagen. Früher haben wir über die Musik geredet, über meinen Stundenplan, bestimmte Konzerte. Da das jetzt wegfällt, bleibt nicht viel übrig. Mit meinem Bruder ist es ähnlich.« Hannah denkt daran, wie sie Albert anrief, als Philippe sie das erste Mal verließ, sie hatte so getan, als wollte sie sich nur einmal wieder melden, aber eigentlich hatte sie gehofft, er würde ihr sagen, dass alles wieder in Ordnung kommt oder dass Philippe ein Idiot ist und sie zu ihnen ziehen soll. Aber er hatte keins von beidem getan. Er hatte erwidert, dann müsse sie sich eben mehr anstrengen, damit es funktioniert. Ihr Vater hätte genauso darauf reagiert. Schließlich hatte er gefragt, ob es sonst noch etwas gebe. Sie war tief getroffen.
»Wie war es, als Ihre Mutter noch lebte?«, fragt Madeline. »War es da anders?«
Hannah lächelt traurig. »Ja. Mein Vater war sehr streng und sie auf ihre Art auch, aber sie wollte immerhin, dass wir ganz normal aufwachsen, so wie jedes amerikanische Kind. Einmal hat sie uns erlaubt, dass wir mit dem Üben aufhören und uns beim Eismann ein Eis kaufen. Mein Vater war natürlich wütend, er hielt das für reine Zeit- und Geldverschwendung. Aber meine Mutter beharrte darauf, bis er schließlich nachgab. Sie war die Einzige, die ihm zu widersprechen wagte – wir anderen hatten zu viel Angst vor ihm. Aber nicht meine Mom.« Hannah fügt nicht hinzu, dass sie sie nach wie vor vermisst, obwohl sie schon seit zehn Jahren tot ist. Aber das muss sie auch nicht. Madeline scheint es auch so zu begreifen.
Hannah wickelt die Decke fester um sich, ihr ist kalt. Sie streicht mit ihren schlanken Fingern über die perfekt gehäkelten Reihen. »Haben Sie die Decke selbst gemacht?«
Madeline schüttelt den Kopf. »Außer kochen kann ich nichts. Die Decke habe ich aus einem kleinen Geschenkeladen in der Stadt, in dem sie hübsche selbstgemachte Sachen aus Avalon verkaufen.« Sie zieht eine abgenutzte Fleecedecke über ihre Beine.
Hannah bewundert Madeline, bewundert sie dafür, was sie erreicht hat. Soweit Hannah weiß, ist sie ganz auf sich gestellt, aber das scheint ihr nichts auszumachen. Hannah hofft, dass sie eines Tages so gut mit ihrer Situation zurechtkommt wie Madeline, aber im Moment kann sie sich das nicht vorstellen.
»Wie machen Sie das?« Sie deutet um sich. »Der Teesalon, das Kochen und Backen. Wie schaffen Sie die viele Arbeit nur?«
Madeline überlegt. »Ich glaube, ich sehe das gar nicht so sehr als Arbeit. Wie gesagt, als ich in diese Stadt kam, wusste ich sofort, dass ich hierbleiben wollte. Weiter habe ich nicht gedacht. Als ich dann in mein Haus gezogen bin, kam es mir nach ein paar Tagen wie die reinste Verschwendung vor, so ein großes Haus ganz allein für mich zu haben. Auf Bed & Breakfast hatte ich keine Lust – ich habe gern eine ungestörte Nachtruhe und brauche meine Privatsphäre –,aber die Vorstellung, für andere Leute zu kochen und zu backen, gefiel mir. Die entsprechende Konzession lag bereits vor, und das gab letzten Endes den Ausschlag. Ich dachte
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