Je sueßer das Leben
haben, aus. Er hat sein Bestes gegeben, und die Entwürfe sind gut. Nein, nicht nur gut, sie sind fantastisch. Er weiß, dass er aus diesen Räumen etwas Umwerfendes machen kann. Lemelin hört ihm mit dem Ausdruck gelangweilter Skepsis zu, so als habe er sich das alles schon hundertmal anhören müssen. Als Mark fertig ist, zuckt Lemelin nur mit den Achseln.
»Der Entwurf ist ja ganz nett«, erklärt er ihnen. »Auch wenn ich Ihnen gestehen muss, dass mir dieser Ökoscheiß im Grunde egal ist. Mir fehlt das Künstlerische. Wo bleibt die Leidenschaft? Davon ist nichts zu merken.« Er deutet auf die Pläne. »Ich will ein Architekturbüro, das mit Leidenschaft bei der Sache ist. Klar?«
Damit überrumpelt er sogar Vivian. »Ich kann Ihnen versichern, Bruno …«
»Ich will keine Versicherungen. Dafür habe ich meine Anwälte – die passen auf, dass mir nichts passiert. Die Architekten, die mit mir zusammenarbeiten wollen, müssen leidenschaftlich sein. Chicago ist nicht New York, aber es verkörpert auf andere Weise den amerikanischen Traum. In dieser Stadt haben eine Menge Feuer gewütet – das will ich ins 227 einbringen. Etwas Heißes, Feuriges. Lebendiges. Gefährlich und doch voller Versprechen.«
Was soll das denn nun? Noch vor wenigen Wochen hatte Lemelin ihnen etwas von einem wilden Mix von Farben erzählt, einem leuchtenden Mosaik. Alle Farben des Regenbogens sollten vorkommen, ein heiteres und heiter stimmendes Bild ergeben, natürlich, nicht kitschig. Nach dieser Vorgabe suchten sie sämtliche Elemente für innen und außen aus. Sie sind geschmackvoll, aber gewiss nicht feurig. Das, was Lemelin will, ist nicht nur ein neuer Entwurf, sondern eine völlig neue Herangehensweise, ein völlig neues Projekt.
»Ich kann mir die Farbpalette ja noch einmal ansehen …« Vivian wirft einen Blick zu Mark, dem es die Sprache verschlagen hat.
»Machen Sie, was Sie für nötig halten. Wenn Sie dieses Projekt haben wollen, müssen Sie darum kämpfen. Drei Wochen.« Lemelin steht auf, und sie schütteln sich zum Abschied die Hand, dann geht er zu seinem Auto, ohne noch einmal zurückzuschauen.
»Scheiße.« Vivian fängt an, Sachen in ihre Aktentasche zu stopfen. »Ich hätte den Champagner doch gleich nehmen sollen.«
Mark betrachtet Vivian. Sie sieht müde aus, ihr Esprit ist wie weggeblasen, stattdessen wirkt sie geschlagen, besiegt.
Mark hat ein schlechtes Gewissen. Vivian hat alles dafür getan, um den Auftrag an Land zu ziehen und das Projekt zum Laufen zu bringen. Das muss er ihr lassen, obwohl er selbst natürlich auch einen Teil dazu beigetragen hat. »Es tut mir leid, Vivian.«
»Wofür entschuldigst du dich?« Vivian rollt die Pläne zusammen. »Er spielt mit uns. Das hat er von Anfang an gemacht. Er will nur sehen, was uns noch so alles einfällt, und dann marschiert er mit unseren Ideen zu einem größeren Architekturbüro mit einem bedeutenderen Namen.«
Wahrscheinlich hat sie recht. Er kämpft gegen die aufkommende Mutlosigkeit an. »Ich gebe noch nicht auf«, sagt er. »Wir sind jetzt schon so weit gekommen, da können wir auch noch ein Stück weiter gehen.« Drei weitere Wochen die reinste Hölle. Er wird es schaffen.
Vivian wirft ihm einen zweifelnden Blick zu.
»Komm«, sagt er und deutet zur Tür. Es ist noch früh am Abend. Julia ist mit ihren Freundinnen unterwegs, und Gracie ist bei Livvy in guten Händen. »Ich lad dich auf ein Glas ein.« Wenigstens das schuldet er ihr.
Als sie den Rohbau verlassen, werden sie beinahe vom Wind weggeweht. Eine Böe fährt in die Unterlagen, aber Mark packt sie mit festem Griff, genau wie Vivian, und sie kämpfen sich zum Parkhaus.
Ist das etwa Mark? Julia ist sich nicht ganz sicher, aber der Mann auf der anderen Straßenseite sieht aus wie Mark. Er ist in Begleitung einer Frau, und die beiden stemmen sich eng aneinandergedrückt gegen den Wind, der plötzlich aufgekommen ist. Dann verschwinden sie um die Ecke.
Soll sie ihm nachlaufen? Was sollte sie sagen? Sie muss sich das einbilden. Es kann nicht Mark sein. Mark ist zu Hause in Avalon bei Gracie. Er weiß nicht einmal, dass sie in Chicago ist. Und warum sollte er mit einer anderen Frau hier sein? Es dämmert schon, so dass sie sich nicht sicher sein kann, aber Julia kennt seinen Gang, kennt seinen Schatten. Oder vielleicht doch nicht?
Hannah läuft neben ihr her, in ihren Pashmina-Schal gewickelt. »Ich glaube, ich gehe wieder zurück ins Hotel«, sagt sie in diesem Moment und macht Anstalten,
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