Jede Sekunde zählt (German Edition)
nur zweimal pressen, und schon kamen sie, Grace Elizabeth um 8.54 Uhr und Isabelle Rose um 8.57 Uhr.
Nichts hat mir jemals stärker das Gefühl vermittelt, lebendig zu sein, als miterleben zu dürfen, wie Grace und Isabelle das Licht der Welt erblickten; ihr Erscheinen, kurz nacheinander, bewegte mich unermesslich. Wie Luke waren sie wirkliche Wunderkinder, verdankten ihr Leben dem Wunder der künstlichen Befruchtung. Mir war es egal, ob sie Jungen oder Mädchen waren, klein oder groß, ob sie blaue oder braune Augen hatten. Das Einzige, was zählte – und was für mich bis heute zählt –, war, dass sie endlich da und dass sie gesund waren.
Nachdem ich die Nabelschnüre durchtrennt und sie gesäubert hatte, betrachteten wir sie lange. Vom ersten Moment an hatte ich keinerlei Probleme, Grace und Isabelle auseinander zu halten, zwei sehr verschiedene kleine Seelen, beide gleichermaßen wundervoll. Später konnte ich nie verstehen, wenn die Leute sich schwer taten, sie voneinander zu unterscheiden. Wie konnte man die beiden nur miteinander verwechseln, fragte ich mich. Grace war ein bisschen kleiner, für ein Baby erstaunlich ruhig und nahm Liebkosungen und Bewunderung so selbstverständlich an, als stünden sie ihr einfach zu. Isabelle dagegen war mein Abbild, selbst was ihre Art anging, eine winzige, strampelnde Miniaturausgabe meiner selbst. Sie hatte feine Gesichtszüge und ein besonderes Leuchten in ihren Augen und sollte zu einem schalkhaften Baby, fast schon zu einem kleinen Kasper, heranwachsen. Gleich von Anfang an nannten wir sie selten bei ihren vollen Namen.Grace war »Gee« oder »Gracie«, und Isabelle war »Izzy« oder, wie Luke sie nannte, »Isabo«.
Das Thanksgiving-Dinner im Krankenhaus am nächsten Tag war schauderhaft – dünner Kaffee, aufgewärmtes Essen und abgestandene Luft aus der Klimaanlage –, aber so erschöpft und glücklich, wie wir waren, machte uns das nichts aus. Einen Tag später brachten wir die Zwillinge nach Hause und machten uns daran, unser Leben auf einen neuen Tagesablauf mit zwei zusätzlichen Mündern, die gefüttert werden wollten, umzustellen. Luke erwies sich von Anfang an als der liebevolle und beschützende ältere Bruder, der immerzu mit den Babys spielen wollte. Um Kik ein wenig zu entlasten, stellten wir eine Nachtschwester ein. Die Schwester brachte ihr die Mädchen, wenn sie nachts Hunger hatten, und nahm sie dann wieder mit ins Kinderzimmer, sodass Kik wenigstens ein bisschen Schlaf fand.
Eines Morgens, ungefähr eine Woche nach der Geburt, Kik und ich genossen gerade ein seltenes Frühstück der Ruhe, klopfte es an der Haustür. Wir blickten uns an, genervt; es war gerade einmal 7.00 Uhr morgens, die Kinder schliefen, und wir saßen in den Bademänteln beim Kaffee. Wieder wurde geklopft, der Hund fing an zu bellen. Kik und ich waren fast nie alleine, und nun war der Moment vorbei. Wer immer da draußen stand, wir hätten ihn am liebsten umgebracht.
Kik öffnete die Tür.
»Zufallsdopingkontrolle«, sagte die Frau.
Kik konnte es nicht glauben. »Es ist sieben Uhr morgens«, schnappte sie.
Wortlos streckte die Frau ihr die Formulare entgegen. Ich kam zur Tür.
»Was wollen Sie?«, verlangte ich zu wissen. »Zufallsdopingkontrolle.«
»Zufall? Was ist daran zufällig? Wollen Sie mich verarschen?« Kik zitterte vor Wut. Sie hatte von Anfang an eine gewisse Abneigung gegen die Dopingkontrolleure gehegt, vor allem, weil sieso unfreundlich waren und wegen der Art und Weise, wie sie hereinplatzten und Befehle erteilten. »Warum können sie nicht wenigstens einmal ›Wie geht es Ihnen?‹ sagen?«, beklagte sie sich. Dieses Mal aber, als sie frühmorgens bei uns eindrangen, während wir im Bademantel dasaßen, und mit zwei Neugeborenen im Haus, kam es uns vor wie eine regelrechte Vergewaltigung. Sie hatten Kik vor gerade einmal einer Woche in den Wehen erlebt, und als wir mit den Zwillingen aus dem Krankenhaus nach Hause kamen, hatten alle Zeitungen in Austin darüber berichtet. Sie wussten also ganz genau, wie aufdringlich und störend ein Dopingtest in diesem Moment unseres Lebens sein musste. Ich war für unangemeldete Dopingkontrollen, aber das hier ging zu weit, das kam mir vor wie unerlaubtes Nachtreten beim Fußball.
Für Kik konnte kein Zeitpunkt schlimmer sein als dieser. Wieder einmal standen urplötzlich zwei fremde Menschen vor der Tür. Sie hatte zwei kleine Babys, ihr Schutzinstinkt regte sich mächtig. Es war einfach eine unglaubliche
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