Jede Sekunde zählt (German Edition)
Zumutung, die beiden an diesem Morgen in unser Wohnzimmer lassen zu müssen.
Nachdem ich die übliche Testroutine über mich hatte ergehen lassen und einen Stapel Formulare ausgefüllt hatte, brachte Kik die beiden zur Tür. Genau in dem Moment, als sie auf der Schwelle standen, streckte Kik ihren Arm aus und blockierte den Ausgang. Kik lehnte sich vor, bis ihr Gesicht direkt vor dem der Frau war, und zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen an: »Wehe Ihnen, Sie kommen jemals wieder so früh am Morgen zu uns und stören unseren Familienfrieden.« Dabei wussten wir ganz genau, dass sie wiederkommen würden.
Wir schlossen die Tür, setzten uns wieder an den Frühstückstisch und versuchten, dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten. Aber der Moment war vorüber, und was niemand wissen konnte, war, wie selten solche Momente in unserem Leben waren. Wir hatten einfach zu wenig Zeit.
Wenn ich heute an diesen Morgen zurückdenke, dann war dieser Vorfall bezeichnend. Unser Leben war eine ununterbrochene Abfolge von großen und kleinen Störungen, Belästigungen und Unterbrechungen unserer Beziehung.
Ich musste mich um die Renovierung unserer Wohnung in Gerona und den Umzug von Frankreich nach Spanien kümmern, um die Krebsstiftung und darum, meine Karriere als Weltklasse- Radrennfahrer voranzutreiben, und das alles gleichzeitig. Vor allem aber waren wir Eltern von gerade neu auf die Welt gekommenen Zwillingen und einem zweijährigen Jungen.
Unser Zusammenleben war von Hast geprägt – einer konzentrierten Hast, aber eben doch einer Hast. Manchmal vergaßen wir die einfachsten Dinge, mit Konsequenzen, die gelegentlich einfach zum Brüllen waren. Einmal zum Beispiel besorgte ich Kik eine richtig gute Radlerausrüstung, darunter auch supermoderne Radschuhe, die man in die Pedale einklicken konnte. Sie marschierte ins Fitnessstudio, meldete sich für einen Spinningkurs an, zog die Schuhe an, klickte sich in die Pedale ein und fing mit dem Workout an. Als sie fertig war, stieg sie vom Rad – und schaffte es nicht, die Schuhe auszuziehen. Hilflos starrte sie auf die vielen Riemen und Schnallen an den Schuhen. Ich hatte vergessen ihr zu zeigen, wie sie funktionierten.
Vor den Augen der gesamten Belegschaft des Fitnessstudios musste sie zur Eingangstür hinaus, die Treppen hinunter und auf den Parkplatz hoppeln. Sie stieg ein und fuhr mit den Radschuhen zurück nach Hause. Ich saß gerade in der Küche und aß Müsli, als ich von der Halle her ein »Klack-klack-klack«-Geräusch auf mich zukommen hörte.
»Warum um alles in der Welt hast du die Radschuhe nicht ausgezogen?«, fragte ich.
»Weil ich nicht weiß, wie man sie auszieht.«
Ich brach in lautes Gelächter aus.
Als Kik am nächsten Tag wieder in das Fitnessstudio ging, war College auch dort. Kik zog sich ihre Sportkleidung an und setztesich auf ein Spinning-Rad. Nachdem College mit seinem Workout fertig war, schlenderte er gemächlich zu Kik hinüber.
»Hey, Kik«, meinte er, »ich wollte nur fragen, ob ich noch eine halbe Stunde hier herumhängen soll. Nur für den Fall, dass ich dir aus diesen Schuhen heraushelfen muss.«
Manchmal vergaßen wir aber auch wichtige Dinge. Zum Beispiel vergaßen wir, hin und wieder in aller Ruhe essen zu gehen, nur wir zwei. Wir hetzten durch das Haus, hier ein flüchtiger Kuss, da eine rasche Umarmung, und immer gab es etwas anderes zu tun, ein Baby, das schrie, ein wichtiger Anruf.
Auch außerhalb der Saison war ich häufiger auf Reisen, als mir lieb war, zumeist für die Krebsstiftung oder um meinen Verpflichtungen aus den Werbeverträgen nachzukommen. Wann immer es ging, kehrte ich zum Abendessen nach Hause zurück, aber manchmal war das einfach nicht möglich. Eine typische Woche: Ich flog für zwei Tage zu einem Auftritt nach Europa, nahm von Paris die Concorde zurück nach New York, wechselte das Flugzeug, landete in Austin und fuhr direkt weiter zu einem Fototermin. Von dort ging es weiter zu einem Autogrammtermin, wo ich Bücher, Radhemden und Poster für Krebspatienten signierte. Anschließend fuhr ich nach Hause, zog mich um und setzte mich zu einer halbstündigen Ausfahrt auf das Rad. Danach duschte ich, zog mich wieder um und verbrachte ein bisschen Zeit mit Kik und den Kindern. Anschließend zog ich mich ein drittes Mal um und ging mit Kik zu einem Wohltätigkeitsdinner für die Krebsstiftung.
Kik unterdessen widmete sich mit nicht weniger Energie – und einem ausgeprägten Hang zum Perfektionismus –
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