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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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erreicht, womit wir das Trikot verdient gehabt hätten. »Verdienen wir es uns«, sagte ich zu Johan.
    Der sieben Kilometer lange Prolog, der die Tour einleitete, führte über herrschaftliche Straßen durch die mit Kirchen gesäumte Innenstadt Luxemburgs. Ich war wild entschlossen, gleich am allerersten Tag das Gelbe Trikot zu erobern. Nachdem ich bei den Vorbereitungsrennen ein paar Zeitfahren verloren hatte, machte im Peloton das unvermeidliche Wort die Runde, dass ich dieses Jahr nicht so gut in Form sei. Alle Fahrer würden jetzt nach Anzeichen dafür Ausschau halten, dass ich dieses Mal zu schlagen war, und eben diese Illusion wollte ich ihnen gleich am ersten Tag rauben. Mit einem Sieg beim Prolog konnte ich ihnen eine unmissverständliche Botschaft schicken: »Hey, Jungs, hier bin ich. Das hier ist die Tour, nicht irgendein Vorbereitungsrennen, hier gelten andere Regeln.«
    Daneben ging es mir auch um die Chance, Tour-Geschichte zu schreiben. Sollte ich auch dieses Jahr gewinnen, wäre ich einer von nur vier Fahrern seit Beginn der Tour, die sie viermal nacheinander gewonnen hatten. Die Liste derjenigen, die das vormir geschafft hatten, war ebenso kurz wie Ehrfurcht gebietend: Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Miguel Induraín.
    Aber es würde schwierig werden: 189 andere Fahrer gingen mit dem einen Ziel an den Start, vor mir in Paris anzukommen, und dann gab es da noch diesen großen, ewigen Gegner, den Kurs selbst: 3274,5 Kilometer, und drei Tage vor der Ankunft in Paris würden wir immer noch in den Bergen sein. Das hieß, ein schlechter Tag, und mir könnte die Strecke knapp werden, auf der ich die Chance hätte, die verlorene Zeit wieder gutzumachen.
    Die Tour-Veranstalter hatten dieses Jahr erhebliche Änderungen am Kurs vorgenommen und eine kürzere, aber deutlich anspruchsvollere Strecke ausgewählt. Sie hatten, das war unverkennbar, versucht, einen Kurs abzustecken, der speziell Fahrern wie mir das Leben schwer machen sollte. Bei den letzten drei Touren hatte ich in den Bergen eine so überzeugende Leistung gezeigt und einen so großen Vorsprung herausgefahren, dass für viele auf den letzten Etappen die Spannung verloren gegangen war. Die diesjährige Streckenführung mit vier entscheidenden Bergetappen in den letzten acht Tagen war darauf ausgelegt, den Ausgang des Rennens möglichst lange offen zu halten. Wir würden, wie gesagt, drei Tage vor der Ankunft in Paris immer noch in den Bergen sein.
    Der Sieger würde am Ende derjenige mit dem besten Team sein, dem Team, das seinen Kapitän möglichst lange schonen konnte. Und meiner Meinung nach war das Postal-Team das stärkste und beste Team im Feld, zumal Jan Ullrich dieses Jahr nicht an den Start ging. Ullrich hatte ein hartes Jahr hinter sich; nachdem er sich zuerst am Knie verletzt und dann noch nach einem Discobesuch einen Autounfall verursacht hatte, musste er auf die Teilnahme an der Tour verzichten.
    Am Tag des Prologs zündete Kik in einer Kirche ein paar Kerzen für mich an, bevor sie mit den Kindern zum Startbereich kam, um mir vor dem Beginn des Rennens die Daumen zu drücken. Auf dem Weg zum Startbereich geriet sie in dem Gedränge derdicht stehenden Menschenmassen mit den Kindern irgendwie auf die falsche Seite des Kurses, auf dem ständig Radfahrer und Begleitfahrzeuge vorbeirasten. Schlussendlich musste sie ein paar Polizisten bitten, ihr über die Absperrungen und die Straße hinweg zu helfen. Mit Luke unter dem Arm hastete sie über die Straße, gefolgt von einigen hilfsbereiten Zuschauern, die den Kinderwagen mit den Mädchen in die Höhe hielten. Es sah aus, als würden sie bei einem Konzert ein Bad in der Menge nehmen. Als sie schließlich unbeschadet auf der anderen Seite angelangt waren, brach die Menge in Jubelrufe aus.
    Ich saß auf einem Radtrainer und wärmte mich auf. Luke nuckelte an meiner Trinkflasche und inspizierte an der Seite der Mechaniker alle greifbaren Räder und Radteile, und die Zwillinge schauten aus ihrem Kinderwagen heraus zu, was ich da trieb, während Kik dabei war, sie mit Babynahrung zu füttern.
    Ich musste los. Ich drückte allen einen Kuss auf die Wange, stieg auf mein Rad und machte mich auf den Weg zur Startrampe. Nachdem die Fahrer vor mir im Minutenabstand gestartet waren, war nun die Reihe an mir. Ich stürzte mich die Rampe hinunter auf die Straße. Der enge und technisch anspruchsvolle Kurs erforderte eine präzise Fahrweise, und Johan versorgte mich über Funk ohne Unterlass mit Anweisungen und

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