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Jede Sekunde zählt (German Edition)

Jede Sekunde zählt (German Edition)

Titel: Jede Sekunde zählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lance Armstrong , Sally Jenkins
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Geschiebe und Gedränge bei Höchstgeschwindigkeit nicht aus der Ruhe bringen. Vor allem aber war Floyd ein dickköpfiger Bastard, der alles tun würde, nur eins nicht: aufgeben.
    Mit so vielen Sprachen im Team war es fast zwangsläufig, dasswir uns untereinander in einer Art Pidgin oder Steno unterhielten. Wir tauschten Redewendungen und umgangssprachliche Ausdrücke aus und entwickelten unsere eigenen Witze. Zum Beispiel brachte ich Chechu den Ausdruck »to raise the roof« bei [»das Dach wackeln lassen«, einen Mordskrach schlagen]. Chechu war so lernbegierig, dass es doppelt witzig war, wenn er sich mal wieder aufführte, und wir mussten uns die Bäuche vor Lachen halten.
    »Chechu, was machst du mit dem Dach?«, grölten wir dann alle.
    Die sicherste Methode, die Jungs beim Essen oder im Teambus zum Lachen zu bringen, war zu versuchen, einem zivilisierten Mann wie Eki oder Pavel einen Amerikanismus beizubringen. Beide sprachen ausgezeichnet Englisch, hatten aber mit den eher umgangssprachlichen Besonderheiten des amerikanischen Englisch gewisse Probleme.
    »George«, konnte zum Beispiel Eki zu Hincapie sagen, »was ist das, dieses ›How you doing?‹ , von dem du dauernd redest?«
    Pavel war ein sehr ruhiger Fahrer. Er machte seinen Job und sagte ansonsten wenig. Im Teamfunk war er fast nie zu hören, bis er eines Tages um einen Mechaniker bat. Irgendetwas war mit seinem Fahrrad nicht in Ordnung. Johan schickte einen Teammechaniker los, um das Problem zu beheben. Kurz darauf hörten wir Johan: »Okay, Pavel, ist es jetzt besser?«
    »Weniger oder mehr«, antwortete Pavel.
    Alles brüllte los vor Lachen. »Es heißt ›mehr oder weniger‹«, versuchte ich ihm zu erklären. »Man sagt ›mehr oder weniger‹.«
    »Ja und? Das ist doch dasselbe.«
    »Nein. Nein, ist es nicht.«
    »Wie soll das heißen?«, beharrte er. »Weniger oder mehr, oder mehr oder weniger? Wo ist da der Unterschied?«
    So ging es noch eine Ewigkeit hin und her.
    Wir zogen einander auf, machten Witze über alles Mögliche, angefangen damit, aus welchem Land jemand kam, über seineSchwächen und Stärken bis hin zu persönlichen Eigenschaften und Ticks. Zumeist waren es Witze, die außer uns wohl niemand sonst lustig gefunden hätte.
    George und ich gingen jeden Tag zum Training ins Sportstudio.
    Eines Nachmittags, wir saßen nebeneinander auf den Radtrainern, drehte sich George zu mir um.
    »Hast du Tape?«, fragte er.
    »Wozu?«
    »Weil’s mich zerrissen hat«, sagte er und ließ den Bizeps spielen.
    Das Lachen half uns, die Leiden des Trainings besser zu ertragen. Zugegeben, unsere Witze waren albern und kindisch und dumm, aber innerhalb des Teams, zwischen uns neun, die wir uns kannten und mochten und vertrauten, war die Angewohnheit, uns gegenseitig übereinander lustig zu machen, ein wichtiger Bestandteil des Tagesablaufs, unser Ritual der moralischen Stärkung.
    »Gebt mir ein gottverdammtes Dreirad, und ich werd euch Gummi geben«, war einer meiner Lieblingssprüche.
    Häufig dichteten wir beim Radfahren auch kurze Songs. So konnte es vorkommen, dass Floyd neben mir her fuhr und plötzlich anfing zu singen: »Somebody’s going to be my bitch today, bitch today.« Woraufhin die anderen Jungs laut »Aaaaaaaaaaaaaaahhhhh!« schrien und so taten, als wären sie plötzlich ganz erregt.
    George hatte seinen eigenen Ausdruck dafür, wenn er sich wirklich gut fühlte: »Keine Kette.« Über die Kette wird die Kraft, die der Fahrer auf die Pedale bringt, auf das Hinterrad übertragen, das Hinterrad dreht sich, und das Fahrrad fährt. Nun stellen Sie sich vor, Ihr Fahrrad hat keine Kette. Sie würden nur Luft kurbeln, und das würde sich sehr, sehr leicht anfühlen. George und ich hatten dieses Ding zwischen uns.
    »Hey«, begann George, »kannst du mal was für mich nachschauen?«
    »Was denn?«
    »Ich spüre keine Kette«, ging es weiter. »Ist da ’ne Kette an meinem Fahrrad?«
    Mit der Zeit verkürzte sich das auf die Kurzform »Keine Kette«, wie in:
    »Hey, George, wie geht’s dir heute?«
    »Keine Kette, keine Kette.«
     
    Zum Auftakt der Tour de France 2002 trat ich bewusst in einem ganz normalen blauen Trikot an, das sich in nichts von dem meiner Teamkameraden unterschied. Ich wollte damit den Ton für das gesamte Rennen festlegen. Traditionell startete der Titelverteidiger das Rennen im Gelben Trikot des Gesamtbesten. Aber zum einen wollte ich mich nicht hervortun, und zum anderen hatten wir im diesjährigen Rennen noch nichts

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