Jede Sekunde zählt (German Edition)
Zeitangaben. Ich hielt meine Augen auf den Kurs vor mir fixiert und ignorierte die Zuschauer, die mit den Händen gegen die Absperrungen trommelten. »Sehr gut, Lance, sehr gut, sehr gut«, meldete sich Johan und gab mir meine Zwischenzeit durch.
In Führung lag der Franzose Laurent »Jaja« Jalabert, der Liebling der Menge, der angekündigt hatte, nach dieser Tour zurückzutreten. Auf der Jagd nach der Zeit, die »Jaja« vorgelegt hatte, schoss ich die letzte Gerade hinunter – und holte mir den Etappensieg mit einem Abstand von zwei Sekunden. Als ich die Ziellinie überquerte, standen Kik und Luke da und schrien: »Go yo yo, Daddy!«
Wir hatten unser Tagesziel – das Gelbe Trikot – erreicht. Dasswir es aller Voraussicht nach postwendend wieder würden abgeben müssen, war mir bewusst – es ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit, das Gelbe Trikot vom Anfang bis zum Ende der Tour ununterbrochen zu verteidigen. Außerdem war es strategisch ratsam, das Trikot für einige Tage abzugeben und Kräfte zu sparen und erst später auf dem Weg nach Paris wieder anzugreifen. Trotzdem, es war beruhigend, es zumindest einen Tag lang zu tragen.
»Es tut einfach gut zu wissen, dass ich es mir zurückgeholt habe«, sagte ich zu Bill Stapleton.
Nach dem Prolog kehrte ich zu Kik und den Kindern ins Teamhotel zurück, um die letzte Chance auf ein wenig entspanntes Zusammensein zu nutzen, die sich uns in den kommenden drei Wochen bieten würde. Ich hielt die Mädchen in den Armen und küsste sie, bevor ich Luke wieder einmal darin instruierte, wer die Tour de France gewinnen würde.
»Was macht dein Daddy?«, fragte ich ihn.
»Daddy lässt sie in den Bergen leiden«, antwortete er. Aber zuerst mussten wir in die Berge kommen.
Die Tage zogen sich so lange hin wie der Asphalt vor uns. Die ersten Etappen führten durch die weite Ebene der Champagne zwischen Reims und Épernay, eine Hochgeschwindigkeitsjagd durch das nördliche Frankreich. Morgen für Morgen ließen wir uns im Teambus von ZZ Top wachrütteln.
ZZ Top war einer von Floyds Beiträgen zum Team, den keiner von uns so schnell vergessen wird. Wir schätzten Floyd als eine laute und maßlos witzige Bereicherung des Lebens im Bus, und es war jeden Tag aufs Neue unterhaltsam, ihm zuzuhören, wenn er Heras, Rubiera oder Eki versuchte ZZ Top nahe zu bringen und zu dem harten Gitarrenrock von Songs wie »She Wore a Pearl Necklace« durch den Bus hüpfte. Schließlich unternahm Heras – der ruhige, gentlemanlike Roberto – einen Versuch, Floyds akustischen Missionierungsversuchen Einhalt zu gebieten. »Kein ZZ Top mehr«, flehte er. »Alles, nur kein ZZ Top.«
Vergeblich. Was wir auch davon halten mochten, ZZ Top wurde zu unserem Ritual, ebenso wie unsere allmorgendlichen Zusammenkünfte im Teambus. Nachdem wir die Strategie durchgesprochen und von Johan die Tagesorder für das Rennen erhalten hatten, war der offizielle Teil abgehakt, und wir fingen an, Blödsinn zu machen. Da die Scheiben des Busses so dunkel getönt waren, dass niemand von außen hereinschauen konnte, machten wir uns einen Spaß daraus, über Autogrammjäger, Ticketdealer und die Verrückten in ihren Kostümen herzuziehen, die draußen herumlungerten.
Hin und wieder stattete Robin Williams uns einen Besuch ab und gab ein paar Sketche zum Besten, imitierte zum Beispiel einen griesgrämigen Franzosen mit einer Gitane im Mund und einem Glas Pernod in der Hand. Manchmal nahm er sich auch mich vor und gab mir Namen wie »Uniballer« oder »der große Reißverschluss«, was die Jungs jedes Mal mit wahren Lachsalven quittierten.
Eines Morgens, wir hatten ziemlich über die Stränge geschlagen, hielten wir es für angebracht zu überprüfen, wie blickdicht die Busfenster denn tatsächlich waren. Wir überredeten Johan, rauszugehen und durch die Fenster zu schauen. Kaum stand er draußen vor dem Bus, schnitten wir ihm die unmöglichsten Grimassen. Johan sah rein gar nichts.
Kindisch, ja, vielleicht, aber es war unser Mittel gegen die Anspannung und Langeweile der flachen Etappen. Wir wollten keine Risiken eingehen, bis wir die Berge erreichten, aber wir hatten es hier mit schnellen Sprintetappen zu tun, der Wind machte uns zu schaffen, aus dem Feld heraus wurden viele Attacken gefahren, und dann gab es da immer noch die Gefahr eines Sturzes. Das Team fuhr stark, aber die Plackerei ging nicht spurlos an uns vorüber, insbesondere nicht an Floyd, den wir hart arbeiten ließen. Floyd hatte sich mit seinem
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