Jeder kann mal Robin sein
nicht mit auf den Hof kommen will zum Spielen.«
»Ich trau mich nicht.« Tine zog die Schultern hoch. »Ich bin der Frau mal auf der Treppe begegnet und hab guten Tag gesagt. Nicht mal geantwortet hat sie.«
»Aber Tine! Dir kann gar nichts passieren. Man
muß doch wenigstens einen Versuch machen, ehe man weitere Schritte unternimmt. Sieh mal, ich stell mich bei uns in den Türspalt...«
»Und ich stell mich daneben.« Max nahm Oma bei der Hand und wollte sie hochziehen, aber Oma wehrte sich. »Halt, nicht so eilig, ich will erst fertig essen.«
Was kann man tun?
Tine und Oma durchschritten die U-Bahn-Station. Der Versuch, mit Lillys Mutter zu sprechen, war mißlungen. Alles Klingeln hatte nichts genützt, die Tür bei Dresslers war verschlossen geblieben.
Danach hatte es noch drei Tage gedauert, bis sich Oma endlich auf das Drängen der Kinder hin entschloß, etwas zu unternehmen. Um so entschiedener hatte sie sich heute auf den Weg zum Jugendamt gemacht, zur Beratungsstelle für Familien. Max war nach dem Kindergarten mit zu einem Freund gegangen.
Vor der großen Rolltreppe hielt Oma an. »Da müssen wir runter?«
»Ja, Oma, ist ganz einfach.«
Tine packte Omas Arm. »Ein Schritt, und schon sind wir drauf. Na, wie war’s?«
»Danke, bißchen wacklig.«
Tine lachte. »Aber warum hältst du denn deinen Hut fest? Es weht doch gar nicht.«
Oma seufzte. »Ich wollte, es würde wehen.«
»Und warum?«
»Weil mir der Wind fehlt.«
Tine sah in Omas große blaue Augen. »Hast du Heimweh?«
»Ein bißchen. Weil es hier eben fast keinen Wind gibt. Außerdem ist mir die Geschichte mit dem Kind, das nachts weint, aufs Gemüt geschlagen. Da muß ich mich an irgend etwas festhalten.«
Tine nickte. »Versteh ich. Ich meine, das mit dem Festhalten. Wenn wir ’ne Klassenarbeit schreiben, dann halt ich mich am Abend vorher am Zipfel von meiner Bettdecke fest. Aber jetzt Achtung, Oma, wir sind gleich unten.«
Oma hielt die Luft an. »Danke, ich paß schon auf. So, da wären wir.« Der einfahrende Zug schob einen kalten Luftstrom vor sich her. »Aber hier weht es wirklich. Komm!«
Tine schob Oma durch die aus der Tür drängende Menschentraube und belegte einen Platz für sie.
Oma setzte sich und zog einen Zettel aus der Handtasche. »Hier! Holzplatz, haben sie am Telefon gesagt. Holzplatz müssen wir aussteigen.«
»Vierte Haltestelle, Oma. Ich weiß Bescheid.«
Als sie den U-Bahnhof verließen, wehte es weiß durch die Luft. »Schnee, noch mehr Schnee!« Tine freute sich. »Paß auf, Oma, es ist ziemlich glatt. Komm, hier geht’s lang.«
Das Jugendamt befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Die Tür zur Familienberatung war angelehnt. Sie gingen hindurch und standen auf einem mäßig erleuchteten Gang, der in einen runden Raum mündete. An den Wänden standen Bänke, davor ein mit Zeitschriften bedeckter Tisch. Zwei Bänke waren voll besetzt, auf der dritten war noch etwas Platz. Oma und Tine zwängten sich in die Lücke. Auf der Bank gegenüber saßen zwei Frauen und ein junges Mädchen, neben Oma und Tine eine alte Frau und ein kleiner Junge.
»So viele Leute«, flüsterte Tine.
»Ja, wird ’ne lange Sitzung«, mischte sich die alte Frau neben Oma ein. »Ist montags immer so. Wegen dem Familienkrach am Sonntag.«
Oma kniff Tine in den Arm. »Na, dann laß uns man aufpassen, daß wir uns nächsten Sonntag nicht in die Haare kriegen, Tine.«
Tine drückte Omas Arm. »Wir doch nicht!«
»Kann man alles nicht wissen«, fuhr die alte Frau fort. »Sehen Sie den Matthias hier.« Sie stupste den Jungen an. »Sitzt da, als ob er nicht bis zehn zählen kann, und zu Hause, was tut er? Nimmt ’n dickes Kissen und stülpt es seiner kleinen Schwester im Kinderwagen über den Kopf.«
»Hören Sie bloß auf«, fiel ihr die junge Frau gegenüber ins Wort. »Wenn wir hier alle auspacken würden, was meinen Sie, was da für ’n Haufen Müll zusammenkäme!«
»Ich kann sagen, was ich will«, fuhr die alte Frau auf. »Und mit Ihnen hab ich überhaupt nicht geredet, sondern mit der Dame neben mir. Und was den Matthias betrifft...« Sie streckte den Zeigefinger vor. Ein Schrei - der Junge hatte sie in die Fingerkuppe gebissen. Die Frau kreischte. Klatsch, hatte der Junge eine Ohrfeige weg. Er fing jetzt laut an zu brüllen, die Frauen mischten sich ein, im Nu herrschte im Wartezimmer ein Höllenlärm. Tine rückte näher an Oma heran.
Jetzt wurde die Tür zum Sprechzimmer geöffnet, und die
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