Jeder Kuss ein Treffer
sagt, was die andere Frau betrifft. Was ist, wenn es stimmt? Was ist, wenn diese Frau etwas mit dem Tod Ihres Sohnes zu tun hat? Würden Sie das nicht wissen wollen?«
»Ich weiß nur ganz genau, dass Sie Ihre Objektivität verloren haben. Das heißt, Sie nützen mir überhaupt nichts mehr. Aber ich warne Sie! Sie werden dumm dastehen, wenn Annie Ihrer müde wird. Sie hat nur eins im Kopf, und das ist dieses Haus. Seit ihre Großmutter tot ist, hat sie nichts anderes mehr. Ihre Eltern wollen nichts mit ihr zu tun haben.«
Wes‘ Blick wurde ausdruckslos und kühl. »Ich habe nur ein Ziel«, sagte er nach einer Weile. »Nämlich die Wahrheit zu erfahren.«
Eves Trauer wurde zu Wut. »Ich brauche Ihre Dienste nicht mehr. Sie sind gefeuert. Fahren Sie zurück nach Columbia, wo Sie hingehören!«
Wes schüttelte den Kopf. »Ich fahre nirgendwo hin. Ich bleibe so lange hier, wie es nötig ist, um den wahren Mörder zu finden.« Er stand auf, griff in seine Tasche und reichte Eve Fortenberry einen ordentlich gefalteten Umschlag.
»Darin finden Sie meine schriftliche Kündigung«, sagte er, »und das gesamte Geld, das Sie mir bisher gezahlt haben. Es tut mir wirklich leid, das mit Ihrem Sohn.«
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Haus.
Als Annie Wes am nächsten Morgen mit dem Motorrad davonfahren hörte, schlüpfte sie gerade in ihre Kleidung. Sie hatte unruhig geschlafen, sich hin und her geworfen und war erst in der Dämmerung eingedöst, aber um kurz nach sieben schon wieder aufgewacht, zwei Stunden später als gewöhnlich. Während sie den Flur hinunter zur Treppe lief, knöpfte sie ihre Bluse zu. Sie hatte wahnsinnige Kopfschmerzen und merkte, dass sich ihr Nacken zunehmend verspannte. Die Muskeln waren hart wie Stein.
Theenie war schon auf, als Annie in die Küche stürmte. Die alte Dame hatte bereits eine Pfanne mit Frikadellen gemacht, Rührei aufgeschlagen und schnitt nun den Schinken in Scheiben, den sie am Vorabend gebraten hatten.
»Wow!«, staunte Annie. »Du hast ja schon alles fertig!«
»Ich dachte mir, du könntest ein wenig Hilfe gebrauchen bei dem, was hier alles passiert. Setz dich hin!«, befahl Theenie und wies auf Annies angestammten Platz. »Ich hole dir einen Kaffee. So wie es aussieht, hast du einen nötig.« Annie gehorchte nur zu gerne. Theenie schenkte ihr eine Tasse ein und brachte sie an den Tisch. »Lovelle und ich haben uns gestern Abend unterhalten«, sagte sie. »Wir werden von jetzt an mehr mit anpacken.«
»Sei nicht albern! Ihr beide macht hier schon genug. Außerdem ist das meine Aufgabe. Deshalb zahlt ihr doch Miete.«
»Du hast viel zu viele Aufgaben für einen alleine, und Lovelle und ich wissen ganz genau, dass du viel zu wenig Geld von uns verlangst.«
Es klingelte an der Tür. »Wer um alles in der Welt ist das denn?«, fragte Annie mit Blick auf die Wanduhr.
»Bestimmt Danny«, sagte Theenie und wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab. »Er meinte, er würde auf dem Weg zu einer anderen Arbeit kurz vorbeikommen, um sich den Boden anzusehen. Aber ich weiß nicht, warum er an der Haustür klingelt und nicht hintenherum kommt.« Als Annie aufstehen wollte, bedeutete Theenie ihr, sitzen zu bleiben. »Ich gehe schon«, sagte sie.
Annie blieb am Tisch sitzen, trank ihren Kaffee und fragte sich, wo sie den Block hingelegt hatte, auf dem sie immer ihre tägliche Aufgabenliste schrieb. Gerade wollte sie sich erheben und danach suchen, als eine besorgt wirkende Theenie mit Lamar in die Küche kam. Zwei Beamte folgten. Der eine war mittleren Alters und hatte schütteres Haar, der andere war deutlich jünger. Er hatte einen Stoppelschnitt und sah aus, als käme er frisch von der Polizeiakademie.
»Guten Morgen, Lamar«, sagte Annie und merkte, dass Theenie sich schon wieder auf der Unterlippe herumbiss. »Ich nehme an, Sie möchten mir mitteilen, dass Sie endlich gefunden haben, was Ihnen abhanden gekommen ist.« Sie sprach absichtlich in Andeutungen, weil sie Theenie nichts von der verschwundenen Leiche erzählt hatte.
Lamar errötete. »Wir arbeiten noch dran.« Er schaute auf seine Schuhspitzen.
»Ich bin in einer offiziellen Angelegenheit hier, Annie.«
»Will sagen?«
Er hob den Kopf. »Ich komme gerade vom Polizeirichter. Ich habe hier einen Durchsuchungsbeschluss«, erklärte er und reichte ihr ein Blatt Papier. »Ich muss mit den Jungs Haus und Grund durchsuchen.«
Ungläubig starrte Annie das Dokument an. »Sie wollen mein Haus durchsuchen?
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