Jeder Kuss ein Treffer
seinem Chef zu Hause angerufen. Tagsüber, wenn der doch wohl eigentlich in seinem Büro war«, fügte Wes hinzu. »Aber ich habe noch etwas tiefer gegraben, um auf Nummer sicher zu gehen. Ich habe mir also ein Bild von ihr besorgt und …« Als Annie die Augenbraue hob, schüttelte er den Kopf. »Frag nicht! Ich habe das Bild im Hilltop gezeigt, dazu das von Charles, und der Barkeeper erkannte die beiden.«
»Obwohl es über drei Jahre her ist?«
»Der Barkeeper kippte einmal versehentlich ein Glas auf dem Lieblingsanzug deines Mannes aus, als er dort mit Mrs. Schaefer saß. Er meinte, Charles hätte einen Riesenaufstand gemacht, deshalb hätte er ihm zwanzig Dollar gegeben, um den Anzug reinigen zu lassen.«
»Ich bin baff.«
»Warst du mit ihr befreundet?«
»Nicht eng, aber Charles und ich trafen uns hin und wieder mit den beiden. Ich bereitete zusammen mit Donna die Weihnachtsfeier der Firma vor, die fand immer im Country Club statt. Einmal war sie samstags hier, nur wenige Monate vor Charles‘ Verschwinden, wir wollten uns die Speisenfolge überlegen und über die Dekoration sprechen. Davor war sie mit Norm, ihrem Mann, schon ein paarmal zum Essen hier gewesen, aber das war ziemlich langweilig, weil sich die Männer den ganzen Abend nur übers Geschäft unterhielten.« Annie überlegte. »Ich weiß noch, dass ich enttäuscht war, weil sie nicht anrief, als Charles mich verließ, aber ich nahm damals an, sie wollte sich nicht in unsere persönlichen Probleme einmischen.«
»Ich habe vor, mit ihr zu sprechen«, erklärte Wes.
»Dann komme ich mit.« Wes wollte abwinken, aber Annie hob die Hand. »Ich will es aus ihrem eigenen Munde hören. Je eher, desto besser«, fügte sie hinzu.
»Wir können morgen nach dem Frühstück hinfahren.«
Jimbo Gardner rüttelte an Erdle Thorney. »Los, Erdle, du musst aufstehen!«
Ausgestreckt in einer Sitzecke hinten in Jimbo‘s Bar and Grill, murmelte Erdle etwas Unverständliches im Schlaf. Er machte die Augen auf, versuchte sich aufzusetzen und stöhnte. »Hab ich einen Schädel!«, sagte er.
Jimbo reichte ihm ein Glas Whiskey. »Hier ist ein bisschen Medizin«, sagte er.
»Ein doppelter. Müsste dich wieder auf die Beine bringen.
Erdle schüttete das Getränk in sich hinein, verzog das Gesicht und stellte das Glas auf den Tisch. »Wie viel Uhr ist es?«
»Acht. Gestern Abend hab ich dich nicht mehr wach bekommen, deshalb dachte ich, ich lass dich deinen Rausch ausschlafen. Aber jetzt muss ich langsam anfangen, alles für die Mittagsgäste vorzubereiten.«
Erdle drückte die Hände gegen seine Schläfen, als befürchtete er, sein Kopf würde explodieren. »Was kriegst du von mir?«
»Du hast gestern schon bezahlt. Weißt du das nicht mehr?«
»Nee.«
»Mann, du zitterst ja am ganzen Körper. Alles in Ordnung?«
»Noch ein Glas würde vielleicht helfen«, nuschelte Erdle. »Zahl ich auch.«
Jimbo gab ein angewidertes Geräusch von sich. »Einen gebe ich dir noch, aber dann ist Schluss.« Er ging hinter die Theke und schenkte Whiskey nach.
Erdle kippte ihn runter und schüttelte sich.
»Ich hab dir schon ein Taxi gerufen«, erklärte Jimbo. »Aber es dauert noch eine Weile, bis es hier ist, weil noch einige vor dir dran sind. Dein Auto musst du später abholen.«
Erdle streckte sich wieder auf der Bank aus, ohne zu protestieren. »Sag Bescheid, wenn das Taxi da ist.«
Zögerlich betrachtete Annie das gewaltige chromglänzende Motorrad. Sie trat einen Schritt zurück. »Ich bin noch nie auf so einem … ahm … Motorrad gefahren«, gestand sie. Wenn Wes doch auf ihren Vorschlag eingegangen wäre, ihr Auto zu nehmen! »Was ist, wenn ich runterfalle?«
»Halt dich einfach fest!« Wes reichte ihr einen Helm und setzte selbst einen auf. »Du hast doch keine Angst, oder?«
Sein Blick war herausfordernd. »Natürlich nicht.«
»Warte, ich helfe dir mit dem Riemen.« Er drückte ihren Kopf in den Nacken und befestigte den Riemen unter Annies Kinn. »Gut, Red, ich bin so weit.« Wes schwang ein Bein über das Motorrad und hockte sich auf den Ledersitz.
»Jetzt du! Halt dich an meinen Schultern fest und hüpf drauf.«
Annie zögerte. Sie hätte wissen sollen, dass die Angelegenheit zu Körperkontakt führen würde. Aber sie gehorchte und stieg auf.
Wes zeigte ihr, wo sie die Füße absetzen musste. Dann startete er den Motor.
»Welche Richtung?«
Die Schaefers wohnten in einem einstöckigen Kolonialbau mit langer Veranda und einem perfekt gemähten Rasen.
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