Jedes Kind Kann Regeln Lernen
weg!
Bleib ganz nah bei mir!
Laß doch nicht alles liegen!
Räume die Sachen in den Schrank!
Schrei nicht so laut!
Pssst! Sprich ganz leise!
Warum hören Kinder auf positive Formulierungen eher? Der Grund ist leicht nachzuvollziehen. Ihr Kind hört die Wörter "fallen", "wegrennen", "schreien". In seinem Gehirn sind bestimmte Vorstellungen und Bewegungsabläufe zu diesen Tätigkeiten gespeichert. In diesem Moment werden sie automatisch aktiviert. Das Wörtchen "nicht" ist zu schwach, um diese Vorstellungen wieder zu löschen. Und schon ist es passiert: Das Kind fällt, rennt weg, schreit weiter. Sie haben diese Reaktion durch Ihre Anweisung geradezu hervorgerufen! Es ist nicht ganz einfach, immer eine positive Formulierung zu finden. "Du sollst nicht..." geht uns allen wesentlich leichter von den Lippen. Lassen Sie keine Gelegenheit aus, positive Anweisungen auszuprobieren!
Eine Mutter berichtete: "Ich habe mich beim Essen immer darüber geärgert, daß meine Kinder so oft ihre Milch umgestoßen oder damit gekleckert haben. Statt ,Klecker doch nicht so' oder ,Paß auf, gleich kippt dein Glas um!' sage ich jetzt: ,Kinder, laßt die Milch in der Tasse!' Das war zwar zunächst nur ein Lacherfolg, aber es klappt tatsächlich besser!" Viele Eltern haben Probleme damit, ihren Kindern klare Anweisungen zu geben. Ihr Hauptargument: "Ich will mein Kind nicht herumkommandieren. Dieser Befehlston gefällt mir nicht. Außerdem fehlt mir das Wörtchen bitte dabei!" Bedenken Sie: Die klaren Anweisungen sollten Sie aufheben für ganz besondere Situationen, in denen Sie sicher sind: "Jetzt muß etwas geschehen. Es ist notwendig und sinnvoll, daß mein Kind jetzt das tut, was ich sage." Keinesfalls sollen Sie den ganzen Tag hinter Ihrem Kind her sein und es mit Befehlen und Kommandos traktieren!
Auch für jeden Erwachsenen gibt es zahlreiche Situationen, in denen er sich auf klare Anweisungen eines anderen verlassen muß. Wer etwas lernen will, befolgt Anweisungen seines Lehrers. Denken Sie z.B. an Ihre Fahrschulzeit: Ihr Fahrlehrer hat Ihnen am Anfang zu jedem Handgriff eine genaue Anweisung gegeben. Haben Sie in dieser Situation von ihm ein "Bitte" erwartet? Sie haben sich wahrscheinlich darauf verlassen, daß er Ihnen aufgrund seiner Erfahrung die richtigen Anweisungen gibt. Oder denken Sie an die verantwortliche Ärztin bei einer Operation. Sie hat das Fachwissen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Auch hier wäre ein "Bitte" gegenüber den Mitarbeitern nicht angebracht. Indirekte, unklare Aufforderungen könnten sogar katastrophale Folgen haben. Ihre Anweisungen werden befolgt, weil die Mitarbeiter ihren Fähigkeiten vertrauen und ihren Wissensvorsprung anerkennen. Trotzdem kann sie zu ihren Mitarbeitern ein gutes, kameradschaftliches Verhältnis haben.
Haben Sie Ihrem Kind gegenüber nicht auch einen Vorsprung an Wissen und Erfahrung? Sollte nicht auch Ihr Kind Ihrem
Wissen vertrauen und Ihre Fähigkeiten respektieren? Ist es wirklich verwerflich, wenn Sie manchmal von Ihrem Kind etwas ohne Wenn und Aber verlangen, weil Sie von der Notwendigkeit überzeugt sind? Ist es ein Problem, wenn Ihr Kind gelegentlich akzeptiert: "Ich tue, was Mama sagt, denn sie weiß, was gut für mich ist"?
Das Wort "Bitte" braucht deshalb nicht aus Ihrem Sprachgebrauch zu verschwinden. Es kann für Ihr Kind aber ein Gewinn sein, den Unterschied zwischen einer Bitte und einer klaren Anweisung zu lernen.
Daß kleine Kinder auch durchaus sinnvolle Anweisungen von Erwachsenen nicht immer respektieren, zeigt die folgende Geschichte:
In unserer Nachbarschaft hatte ein kleiner Junge Besuch von seinem etwa dreijährigen Freund. Beide sausten mit Begeisterung mit ihren Tretautos auf der Spielstraße herum. Der kleine Besucher kam plötzlich auf die Idee, mit seinem Tretauto nicht mehr auf der Spielstraße, sondern mitten durch den sorgfältig gepflegten Vorgarten eines Nachbarn zufahren. Ich war zufällig als einzige Erwachsene in der Nähe. Den kleinen Jungen kannte ich nicht. Trotzdem gab ich ihm eine klare Anweisung: "Komm schnell da herunter! Die Blumen gehen kaputt!" — Der Kleine grinste mich an, sagte "Arschloch" und fuhr mit besonderem Schwung noch einmal quer durch den Vorgarten. In diesem Fall war meine klare Anweisung nicht erfolgreich. Offensichtlich hatte der kleine Junge bisher die Erfahrung gemacht: "Wenn mir ein Erwachsener etwas sagt, tue ich es erst recht nicht." Ich mußte zusätzlich handeln und sein Tretauto zurück auf
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