Jeier, Thomas
Irokesenbund und den Indianern im Ohio Valley dabei gewesen und hatte aus nächster Nähe erlebt, über welche Stärke und welchen großen Einfluss die inzwischen sechs Nationen verfügten. Und er kannte den Brief Account of Pennsylvania des Landvermessers Lewis Evans, der sich längere Zeit bei den Irokesen aufgehalten hatte. Evans schrieb: »Die Sechs Nationen und ihre Verbündeten brauchen keine anderen Nationen zu fürchten [...] Sie sind Republikaner im strengsten Sinne; jede Nation verfügt über eine Ratsversammlung, zu der Abgesandte aller Dörfer geschickt werden. Hier wird alles durch eine Mehrheit der Stimmen entschieden. Sehr bedeutsam in der amerikanischen Regierung ist, dass keine Kolonie über eine so zwingende Vertretung verfügt [...] Ihre nationalen Ratsversammlungen haben die Macht, über Krieg und Frieden zu entscheiden, aber nicht das Recht, eine Truppe aufzustellen oder Offiziere zu bestimmen [...] diese Entscheidung überlassen sie den Männern, die sich selbst zu einer Kompanie vereinigen und einen Anführer wählen [...] noch hat dieser Anführer das Recht, seine Männer zu unterdrücken oder sie zu bestrafen, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigen [...] und doch kann sich kein Offizier der Welt über mehr Gehorsam freuen, so stark sind sie von dem Prinzip erfüllt, ihre Pflichten ohne Zwang zu erfüllen.«
Wie beeindruckt Benjamin Franklin von der politischen Organisation der Irokesen und ihrer Verfassung war, zeigte sich am 10. Juli 1754, als er seinen »Plan of Union« vor dem Albany Congress präsentierte. Für die beratende Versammlung des neuen Bundes wählte er den Namen »Grand Council«, derselbe Ausdruck, den man für den Rat der Irokesen gebrauchte. 48 Abgeordnete entsprachen den 50 Repräsentanten des Irokesenbundes. Wie bei den Indianern sollte auch bei den Weißen jede Kolonie eine unterschiedliche Anzahl von Abgeordneten zum Grand Council schicken. Die Zahl würde sich, anders als bei den Irokesen, nach den Steuereinnahmen richten. Unter einer zentralen Regierung würde jede Kolonie ihre eigene Verfassung behalten. An eine Rebellion gegen England war noch nicht zu denken, und so wurde erwogen, die Krone zu bitten, einen President-General zu ernennen, der seine Entscheidungen aber nur mit der Zustimmung des Grand Councils fällen durfte. Zwar war man nicht unmittelbar bereit, diesen Plan in die Tat umzusetzen, doch die Richtung war jetzt klar: »Der Albany Plan ist eine Landmarke auf der rauen Straße, die zum ersten Continental Congress und den Artikeln der Verfassung von 1787 führte«, schrieb der Historiker Clinton Rossiter in seinem 1787 erschienenen Buch 1787: The Grand Convention . Er vergaß zu erwähnen, dass dieser Plan auf den Vorschlägen des Irokesenbundes basierte.
Für Benjamin Franklin und seine Anhänger symbolisierten die Irokesen eine neue amerikanische Identität. Nicht umsonst verkleideten sich die Männer der Boston Tea Party, die am Vorabend der Revolution gegen die Steuererhebungen der englischen Krone protestierten, als Indianer. Am 11. Juni 1776 wurden einundzwanzig Irokesenhäuptlinge zu einer Debatte über die geplante Unabhängigkeit geladen und als »Brüder« begrüßt. James Wilson, ein Abgesandter aus Pennsylvania und Mitautor des ersten Verfassungsentwurfs, setzte sich für ein Bündnis nach dem Vorbild der Irokesenliga ein und sagte: »Die Indianer kennen den Vorteil eines starken Bündnisses. Das beste Beispiel dafür ist der Bund der Sechs Nationen.« Thomas Jefferson, einer der Verfasser und Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der Vereinigten Staaten, orientierte sich ebenfalls an den Irokesen. In seinen Notes of Virginia schrieb er: »Die Sechs Nationen unterwerfen sich keinen Gesetzen, keiner absoluten Macht und keiner Regierung. Ihre einzige Kontrolle sind ihr Anstand und ihre moralische Vorstellung von Gut und Böse. Eine Zuwiderhandlung wird mit Verachtung oder Ausschluss aus der Gesellschaft bestraft, in ernsten Fällen wie Mord von den Personen, die durch das Verbrechen geschädigt wurden. Verbrechen kommen selten bei ihnen vor.«
Die Irokesen als Mitautoren der amerikanischen Verfassung - für konservative Wissenschaftler bis auf den heutigen Tag schwer zu akzeptieren, obwohl die Beweise offensichtlich und erdrückend sind. Den sichtbarsten Beleg hat ein Amerikaner jeden Tag vor Augen: Auf der Rückseite der Ein-Dollar-Note hält ein Adler mehrere Pfeile in den Klauen - ein Symbol der Irokesen.
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