Jemand Anders
jemand gehört hat. Aber wir sind immer noch allein im Lokal. Ich wünschte, die Kellnerin würde endlich unsere Getränke bringen.
„Willst du damit sagen …?“
„Keine Angst, es ist nicht dazu gekommen. Aber sicher nicht deshalb, weil du dich so toll unter Kontrolle gehabt hast.“
„Du behauptest also, wir hatten etwas miteinander?“
Sie zuckt mit der Achsel.
„ Etwas? Keine Ahnung, wie man es nennt, wenn zwei sich küssen, die schon vergeben sind; die sich heimlich treffen, zum Beispiel in der Kornblume. Weil das Lokal schnell erreichbar ist und doch weit genug weg von Treibern, von J. R. und Regina. Von der du dich übrigens trennen wolltest, jedenfalls hast du davon geredet: Für dich, hast du beteuert, für dich tue ich alles … Wie nennt man so etwas deiner Meinung nach?“
Ich starre auf die Tischplatte, eine billige Marmorimitation aus Resopal. Was soll ich sagen, was gäbe es zu sagen? Ich hocke auf dem Misthaufen wie ein Gockel, dem man die Schwanzfedern ausgerissen hat. Der vergessen hat, wie man kräht. Ein dummes Huhn.
Abrupt steht sie auf und langt nach ihrer Handtasche. Ich versuche halbherzig, ihre Hand zu ergreifen, sie zieht sie hastig zurück.
„Bleib“, bitte ich, „du hast mir noch kein einziges Wort von ihm erzählt!“
Sie legt ein wenig Kleingeld auf den Tisch.
„Das dürfte wohl reichen. Was meinst du?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stürzt sie auf den Ausgang zu. Die Kellnerin kann das beladene Tablett gerade noch vor ihr in Sicherheit bringen.
„Liebeskummer?“, fragt sie mitfühlend, als sie die dampfenden Tassen auf dem Tisch abstellt.
Ich drücke ihr wortlos einen Schein in die Hand und schleiche hinaus wie ein begossener Pudel.
Jänner 2010
Er hat es sich längst abgewöhnt einzugreifen, wenn er einen Fehler sieht. Bei ganz schlimmen Fehlhaltungen setzt er Furat oder Susanne darauf an, das ist es dann auch schon. Regina hätte gerne, dass er ein bisschen engagierter wäre; dass er selbst intervenieren, korrigieren würde. Er findet, dazu sind die Trainer da. Wozu zahlt man ihnen Hunderte Euros im Jahr für Weiterbildung? Und überhaupt: Wie käme er mit seinem Bauch dazu, irgendwelche jungen Fritzen an den Geräten zu belehren.
„Am Ende mault noch einer zurück: Halt die Klappe, Opa!“
Sie sieht das anders, grundsätzlicher.
„Der Ruf eines Fitnessstudios steht und fällt damit, wie präsent der Chef ist.“
Das mit der mangelnden Präsenz reibt sie ihm oft unter die Nase. Dabei ist er ständig vor Ort. Kaum ein Tag, an dem er die Belegschaft nicht mit seiner Anwesenheit beglückt. Sein Aktionsradius beschränkt sich allerdings auf den Eingangsbereich, und auf die Auslage . So nennen sie den für die Chefität reservierten und durch eine Verglasung von der Trainingshalle abgetrennten Bereich, in dem Reginas und sein Schreibtisch einander gegenüberstehen. Gleich links vom Eingang, zwischen Schlüsselausgabe und Theke, befindet sich die Espressomaschine. In ihrem Bannkreis hält er sich am liebsten auf, zwecks Befriedigung seiner größten Sucht. Wo die Kunden sich ihre Eiweißbomben reinziehen, gönnt er sich gut und gerne sieben Espressi pro Tag. Die biblische Zahl sieben! Sie ist so ziemlich das Einzige, das er aus seinem früheren Leben herübergerettet hat in die profane Welt des Studios. Obwohl, als ausschließlich profan würde er diese Welt nicht bezeichnen.
Für viele seiner Kunden ist das New Life definitiv so etwas wie Religionsersatz, eine quasispirituelle Enklave im materialistischen Alltag, wo man sich eine Dosis Glückseligkeit aus eigener Kraft erstrampeln oder erstemmen kann.
Als er den Betrieb von Onkel Gerhard übernahm, stand noch Fitnesscenter über der Tür, Regina machte daraus ein Fitnessstudio . Die Neuerung sollte Exklusivität suggerieren, ein gehobenes Niveau. Regina wollte vor allem den Ruf loswerden, nur für eine gewisse Klientel da zu sein. Weg von den proletarischen Kids – hin zur breiten, gutbürgerlichen Schicht, so lautete ihre Devise. Mittlerweile ist das überhaupt kein Thema mehr. Längst gilt als unzeitgemäß, wer sich der ritualisierten Fitness verweigert. Ein Ort, ein Raum, ein All … Wo Dunkelhäutige und Mandeläugige sich ebenso zuhause fühlen wie glupschäugige Weiße, Leute mit kriminalistischer Vergangenheit wie jene mit einer kriminellen. Aber was harrt deiner im Kern des Zentrums, im Auge des Taifuns?
Das Nichts. Gut getarnt unter einem dichten Kokon aus Geschäftigkeit.
Er weiß, dass
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