Jemand Anders
nicht.“
Sie schürzt die Lippen. Ihre Augen funkeln ihn an dabei, ihre Grübchen: ein Versprechen.
„Erzähl mir etwas über ihn.“
„Wozu? Ich dachte, du interessierst dich für mich ?“
„Natürlich.“ Seine Hände legen sich um ihre. Ich möchte die Fassung sein für diesen Stein, denkt er. Aber er sagt: „Ich kann nicht verstehen, wieso du mit ihm zusammen bist.“
„Du meinst, mit einem wie J. R.“
Er nickt. Johannes Reichert, das Ekel in Person. Der aus heiterem Himmel im Studio auftauchte und ihn mit einem einzigen Satz völlig aus dem Gleichgewicht brachte: Das gibt’s doch nicht – mein alter Präfekt! Nein, er konnte sich nicht an dieses Gesicht erinnern, wusste nicht, welcher ehemalige Zögling ihm da nach fünfunddreißig Jahren fett und arrogant gegenüberstand. Auch der Name sagte ihm nichts, viele hießen damals Johannes. Jetzt nennt er sich ja Dsche-Ar .
Du kannst J. R. zu mir sagen , alle meine Freunde nennen mich so .
Er ist auf seinen bescheuerten Spitznamen auch noch stolz!
Ein Spitzname ist dann gut, wenn sein Träger ihn selbst akzeptiert , wenn er sich dadurch geadelt fühlt, nicht gebrandmarkt. Also, ich höre den meinen gern. J. R. – da schwingt Texas mit, Öl und kesse Bienen. Nomen est omen, nicht wahr, Edgar? Ich hatte mit Latein ja nie viel am Hut. Aber ein paar Wahrheiten haben sie schon auf den Punkt gebracht, die alten Römer, keine Frage . Weißt du was: Du und der Otto und ich, wir gehen einfach mal aus und schwätzen über die alten Zeiten. Einverstanden?
Davor konnte er sich bisher drücken. J. R. ist Anlageberater, offenbar ein äußerst erfolgreicher. Fortwährend prahlt er mit seinem Reichtum.
„Sag’s einfach, wenn ich dir unter die Arme greifen soll! Für meinen alten Präfekten lasse ich gerne ein paar Scheine springen.“
Wenn er verschwitzt neben Edgar an der Bar lehnt und seinen Eiweißshake hinunterkippt, hält er gerne Monologe über das, was er angeblich im kleinen Finger hat: die Gesetze des Marktes.
Die Gesetze des Marktes haben ja nichts von ihrer Gültigkeit verloren, nur weil dieser Markt momentan eine Krise durchmacht. Im Gegenteil: In der Krise zeigt sich erst, wer einen langen Atem hat, hier trennt sich die Spreu vom Weizen .
Was für Beziehungskrisen natürlich genauso gelte. Auch im Privaten müsse man schon mal ein wenig nachhelfen, wenn der Motor ins Stottern gerät. Wenn die Gespielin das Interesse an einem zu verlieren droht. Üblicherweise wisse er sich ja durchaus alleine zu helfen: Ein goldenes Geschmeide hier, eine neue Wohnung da, und schon sei wieder alles im Lot. Die angebliche Unberechenbarkeit der Weiber: ein Mythos. Schmieren und geschmiert werden, so laute nun einmal die Weltformel, einfach und übersichtlich. Allerdings benehme sich Iris momentan ein bisschen zickig. Irrational. Da wäre es doch schön, wenn er, der alte Prediger und Geschichtenerzähler, ihr den Kopf wieder nach vorne richten könnte – seine bekannten rhetorischen Fertigkeiten habe er ja wohl nicht mit der Kutte abgegeben. Und selbstverständlich werde man sich für eine solche Intervention auch erkenntlich zeigen, es solle sein Schaden nicht sein …
Welch eine Ironie des Schicksals, denkt er: J. R. selbst hat mich zu dir geschickt, und jetzt glühen deine Hände unter den meinen!
„Wieso bist du mit ihm zusammen?“, wiederholt er. Seine Stimme vibriert.
Iris zögert, scheint zu überlegen, wie viel sie preisgeben will.
„Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll.“
„Warum fängst du nicht einfach damit an, wie ihr euch kennengelernt habt?“
*
Endlich erzählt sie von sich. Von sich und J. R.
Davon, wie sie ihn in Český Krumlov kennenlernte. An die Brüstung der Brücke gelehnt, die Sonne im Gesicht, Kanus und Schlauchboote unter ihr, hatte sie unglaubliche Lust verspürt. Auf nichts Bestimmtes, einfach nur: Lust. Lebenslust.
Sie wäre wahrscheinlich auch für den Blick eines anderen empfänglich gewesen, so offen, so aufgekratzt, wie sie in diesem Moment gewesen war. Aber es war nun einmal er, der sie von der Terrasse des U Bejka aus beobachtete. Sie steuerte auf das Lokal zu, um sich ihr Lieblingsbier zu gönnen. Sie wusste, hier würde sie das řezané – einen Verschnitt von halb dunkel, halb hell – in Idealtemperatur serviert bekommen. Sie hatte vor, ein bisschen Tschechisch zu lernen, ein paar Phrasen konnte sie schon. Was sie nicht wusste: dass er sie bereits eine Weile im Visier hatte. Ihre sinnlichen Hüften, ihren
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