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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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Kritik am Rex zu äußern.
    Aber Alois, der schüchterne, hagere, rotköpfige Alois Baumgarten, gedenkt nicht, sich hinzusetzen.
    „Okay“, sagt er, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass dieses Wort alleine schon ein rotes Tuch ist für den Rektor, der seit jeher gegen die Verwendung englischer Wörter wettert. „ Ein Mercedes, okay. Aber wozu brauchen wir noch eine zweite solche Kiste?“
    Dass Alois gerade den Plural verwendet hat, ist ihm wahrscheinlich gar nicht bewusst gewesen. Aber Pater Fidelis weiß, dass der Junge damit zusätzlichen Zorn bei Pater Rektor auslösen wird. Einen gewaltigen, einen heiligen Zorn! Vergeblich versucht er abzuwiegeln.
    „Ich schlage vor, jetzt langsam zum gemütlichen Teil überzugehen …“
    Doch es ist schon zu spät. Die Eigendynamik von Revolutionen ist unaufhaltsam.
    „Vielleicht“, ätzt der kleine Bernd Aigner, „vielleicht braucht man ja den zweiten Mercedes für den Fall, dass der erste vorübergehend in die Werkstatt muss?“
    Jetzt prusten alle los. Alle außer Pater Rektor und Pater Xaver natürlich. Ihnen wäre eine solche Begründung im Ernst zuzutrauen gewesen. Fidelis bemüht sich nach Kräften, sich das Lachen zu verbeißen, aber es ist einfach zu ansteckend.
    Die zusammengepressten Lippen des hinausstürmenden Rektors verheißen nichts Gutes.
    *
    Überraschenderweise hat die Mercedesgeschichte für Baumgarten und Aigner keine Konsequenzen, sie wird einfach totgeschwiegen. Das Internat kann es sich nun einmal nicht leisten, auch noch seine letzten Vorzeigematuranten zu verlieren. Und das übliche o tempora, o mores aus dem Munde des Rektors ist schon zu abgenutzt, als dass sich deswegen jemand ernsthaft Sorgen machen müsste. Nur Pater Xaver, dessen Autorität als graue Eminenz seit jenem Abend ein wenig untergraben ist, wirkt jetzt müde und angeschlagen.
    „Zeit, meine Agenden abzugeben“, verkündet er eines Tages beim gemeinsamen Abendessen.
    Der Rektor will wissen, was das heißen soll.
    „Also um Bibliothek und Archiv muss sich fortan wer anderer kümmern, mir langt es. Ich möchte Fidelis dafür vorschlagen.“
    Der ist damit einverstanden, und nachdem sich niemand sonst um die Arbeit reißt, übergibt Pater Xaver am Neujahrstag die Schlüssel an den um fünfzig Jahre Jüngeren. Die Schüler sind noch in den Weihnachtsferien, draußen ist es windig und matschig. Genügend Gelegenheit also für Fidelis, sich in sein neues Tätigkeitsfeld einzuarbeiten. Schnell stellt er fest, dass der Bücherbestand, insbesondere jener der theologischen Abteilung, in weiten Bereichen hoffnungslos veraltet ist. Er bittet Pater Rektor, die Bibliothek ein wenig modernisieren zu dürfen.
    „Sagen wir, du wirst ausmisten und alles auf Vordermann bringen.“
    Der Rektor kann dem Wort modern nichts Positives abgewinnen; mehr Übersicht und Ordnung aber soll ihm nur recht sein. Pater Xaver wird ausdrücklich gebeten, Fidelis bei der Umstrukturierung fachmännisch zur Hand zu gehen. So sieht man die beiden in den ersten Jännertagen viel zusammensitzen und diskutieren. Das Ausmisten erweist sich für den neuen Bibliothekar als Kraftakt. Pater Xaver klammert sich an jedes staubige Heftchen mit zäher Beharrlichkeit, um nicht zu sagen Sturheit. Was nach langem Hin und Her doch aussortiert werden darf, wandert in wurmstichige Holzkisten, die Schwester Romana zu entsorgen hat. Sie, die Küchenchefin, wird versuchen, die Bücher auf dem Flohmarkt loszuwerden und mit dem Erlös ihren Haushaltsetat ein wenig aufzubessern. Der Realität verpflichtet weiß sie: Es gibt keinen noch so zerfledderten Schmöker, für den nicht irgendein spinniger Hofrat aus schierer Nostalgie bereit wäre, ein paar Schilling auszugeben.
    Als Schwester Romana geräuschvoll die dritte Kiste voller vergilbter Lexika und vorkonziliarer Katechismen abschleppt, umspielt ein ungewohntes Schmunzeln Pater Xavers Lippen. Fidelis möchte den Grund dafür wissen.
    „Weil sie halt immer so schnauft, die Romana, wie ein Asthmatiker. Aber sie ist nicht umzubringen. Weißt, wir zwei kennen uns schon eine Ewigkeit. Seit anno fünfunddreißig, als wir gleichzeitig ins Konvikt kamen. Sie hat sich schon als blutjunge Schwester hervorgetan mit ihrem Sinn fürs Praktische. Hat es selbst in den härtesten Zeiten verstanden, frisches Gemüse oder ein Stück Geselchtes für uns zu organisieren. Im Jahre achtunddreißig, als die SS das Konvikt nach Waffen durchsuchte, hat sie eine Pistole, die irgendein Hahnenschwanzler

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