Jemand Anders
so weit gebracht haben. Nach dem Internat ist es erst richtig losgegangen. Die frühen Achtzigerjahre, unsere Blütezeit! Weißt noch, wie wir in die Staatsliga aufgestiegen sind, Otto? Und als Krönung: das Jahr im Nationalteam. Damals haben wir gespielt, wo andere nur mit dem Finger auf der Landkarte waren: in Dresden, Prag ... Und schlecht haben wir es uns auch nicht gehen lassen da drüben, was, Otto?“
„Ja, eh. Fesch waren wir, jung waren wir. Nicht einmal der eiserne Vorhang hat uns aufhalten können.“
„Ich hab dann ja bald meine Liebe zu den Tschechen entdeckt. Zu den Tschechinnen, genau genommen. Seither fahr ich immer wieder gerne rüber.“
„Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und geht von einem zum andern ...“
„Connie Francis, stimmt’s? Mit dem Liedl ist sie berühmt geworden.“
„Genau. Und wir haben es auch oft gesungen, wenn wir auf Aufriss gegangen sind. Weil in der Heimat vom Karel Gott hat man was übrig dafür. Kannst dich noch an die Olga erinnern?“
„Meinst die Olga Czerny aus Budweis? Wer könnt’ die vergessen! Das doppelte Freundschaftsspiel. Erst Hannesiaten gegen Faustballclub Budějovice, dann Hannesiaten gegen Olga. Alles sehr, sehr freundschaftlich, ja wirklich. Aber am Ende ist aus dem Spiel doch noch Ernst geworden.“
Prusten.
„Was ist so lustig daran, wenn aus einem Spiel Ernst wird?“
„Ein klassischer Insider, Edgar. Du musst wissen: Hannesiaten, so hat sich unsere Mannschaft damals genannt. Grade einmal fünf Faustballer, und vier davon mit demselben Vornamen – das findest so schnell nicht noch einmal! Der Hannes Lugmaier, der Schöberl Johannes, der Binder Johnny und meine Wenigkeit. Und der Otto natürlich, als Draufgabe. Ein kleiner Bonustrack für die liebe Olga Czerny. Es lebe die internationale Solidarität!“
Neuerliches Prusten.
„Meiner Seel’, dieses Freundschaftsspiel hat es vielleicht in sich gehabt, die ganze Nacht haben wir durchgemacht! War direkt anstrengend, na ja, vor allem für die Olga. Pudern in Budweis – das wurde zum geflügelten Wort. Ein knappes Jahr später kommt dann dieser Brief an den Faustballverband. Zuhanden von Hannes, steht auf dem Kuvert, und darunter: Faustballnationalmannschaft, Österreich. Kein Familienname. Und in dem Brief steht sinngemäß, dass es jetzt in Budweis einen Gschrapp gibt, einen kleinen Hannes, für den die Olga gerne ein bisserl eine Unterstützung hätte vom leiblichen Vater.“
„Vom leiblichen Vater! Woher hätten wir wissen sollen, wer’s gewesen ist!“
„Eben! Du warst ja fein aus dem Schneider, Otto, weil sie sich deinen Namen nicht gemerkt hat, die Olga. Aber für uns, die Hannesiaten, war die Sache schon blöder. Vor allem für die anderen drei: Der Schöberl und der Lugmaier waren frisch verheiratet, und der Binder so gut wie. Denen hätte die Olga ordentlich lästig tun können.“
„Also?“
„Also haben wir beschlossen, dass ich, der einzige Ledige, die Krot schlucken soll. Das heißt gezahlt haben wir alle zusammen, ich hab nur das Geld überwiesen auf ihr Konto. Die Summe war eh ein Klacks, überhaupt und erst recht dividiert durch vier; aber irgendwann, nach zwei Jahren oder so, ist es uns doch zu blöd geworden, und wir haben ihr die Parte geschickt.“
„Eine Parte?“
„Genau, den Partezettel von meinem Begräbnis. Samt Konterfei und allem. Der alte Knoll vom Bestattungshaus Knoll & Söhne hat ihn uns gedruckt, hat ausgesehen wie echt. Und wie, bitte, hätte sie’s auch überprüfen sollen? Siehst, das war jetzt das Gute am Eisernen Vorhang. Vielleicht hat sie sogar eine Träne zerdrückt für den tragisch verunglückten Vater von ihrem Hannesburli, die Olga. Jedenfalls hatten wir danach unsere Ruhe.“
„Bestellt mir noch eine Halbe! Ich muss auf’s Klo.“
„Schon wieder? Brauchst eine neue Blase?“
„Ja eh.“
1975
„Es gab eine Zeit, wo die Menschen Gott im Himmel begruben, das ist wahr.“„Ist das anders geworden?“ fragte er seltsam traurig.
Am Sonntag nach Ostern gibt es den traditionellen Studentenabend im Konvikt zum Heiligen Rosenkranz. Er heißt so, weil nur die angehenden Maturanten, also achte Klasse Gymnasium bzw. fünfte Klasse Handelsakademie oder HTL, daran teilnehmen dürfen. Heuer gibt es gerade mal fünf Konviktler, die zu diesem erlauchten Kreis zählen. Die meisten ziehen es vor, in ihren letzten beiden Schuljahren das Internat zu verlassen, um sich in der Stadt eine private Bleibe zu suchen oder zu
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