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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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dagelassen hat, im Schmalzfassl versteckt. In Grammelschmalz eingelegt hat die Waffe das ganze Tausendjährige Reich überdauert. Kein einziger Schuss wurde aus ihr abgefeuert, niemand ist zu Schaden gekommen. Als die Amis einmarschiert sind, hat Romana die Pistole wieder hervorgeholt und auf dem Schwarzmarkt verhökert. Gut geschmiert wie sie war, sind sicher ein paar Eier herausgesprungen dabei. Ja, eine wie die Schwester Romana kann der Menschheit schon einiges an Leid ersparen ...“
    Als Fidelis mit der Fachbibliothek und der kleinen belletristischen Abteilung durch ist, macht er sich daran, das umfangreiche Archiv des Konvikts aufzuarbeiten. Jetzt könnte ihm Pater Xaver tatsächlich eine Hilfe sein, denn beim Sichten der Bestände wird man laufend vor grundlegende Entscheidungen gestellt: Soll dieses Dokument weiterhin aufbewahrt oder jenes ins Stammhaus der Franziskaner nach Hall übermittelt werden? Gehört das in den Reißwolf oder eher in die fachkundigen Hände eines Historikers? Doch der alte Pater laboriert seit Wochen an einer hartnäckigen Verkühlung und erscheint nur mehr sporadisch im Refektorium, die Teilnahme am Frühgottesdienst hat er gänzlich gestrichen. So muss Fidelis alleine weitermachen, wann immer er sich neben der Betreuung der Buben ein Stündchen abzwacken kann. Ende März stößt er auf einen dicken Packen handschriftlicher Aufzeichnungen, der Wasserflecken und Schimmel aufweist und so muffelt, dass er ihn am liebsten gleich entsorgen möchte. Die Jahreszahlen auf den braunen Kartonumschlägen verraten, dass es sich um eine Chronik aus den Zwanziger- bzw. Dreißigerjahren handelt. Pater Xavers Anekdote über Schwester Romana fällt ihm wieder ein. War sie nicht in ebendieser Zeit angesiedelt? Fidelis legt die Mappen auf dem Boden auf und bringt sie in eine chronologische Reihenfolge. Die letzte trägt die Zahl 1938. Er nimmt das Konvolut mit aufs Zimmer. Nach dem Abendgebet schnürt er es auf und beginnt darin zu blättern.
    Ihm bietet sich ein fremdartiges Abbild des Internatslebens vor siebenunddreißig Jahren. Zumeist bürokratisch-distanziert im Ton werden von einem anonymen Verfasser die Auswirkungen der großen Politik auf den Alltag im Konvikt protokolliert. Auch wenn Fidelis nicht jede einzelne Eintragung liest, scheint festzustehen: Die Sorgen des Chronisten werden von Tag zu Tag größer. Und zweifelsfrei stammen sämtliche Notizen aus derselben Feder, von derselben Hand.
    12. März
    Es ist so weit: Der Umsturz ist da! Der Einmarsch der deutschen Truppen geht offenbar reibungslos vonstatten. Im Radio hört man den frenetischen Jubel Tausender in Linz. Die Ordensleitung telegraphiert, wir mögen auf der Hut sein und mit allem rechnen.
    13. März
    Im Konvikt herrscht Aufregung. Die Sturmschärler unter unseren Zöglingen machen sich große Sorgen, denn ganze Rudel einstiger Illegaler ziehen durch die Straßen und brüllen Parolen gegen die Vaterländische Front. Überall Hakenkreuzfahnen. Heute ist Sonntag, aber keiner besucht den Gottesdienst. Der Tag des Herrn erstickt in Sieg-Heil-Gegröle.
    14. März
    Unsere Buben berichten, daß einige ihrer Mitschüler nicht zum Unterricht erschienen sind. Vor dem Eingang des Gymnasiums stünden Uniformierte und kontrollierten jeden, der hineinwolle. Der Pater Rektor meint, das Konvikt habe derzeit wohl nichts zu befürchten. Mit Ausnahme von Peter Klein, Sohn des jüdischen Inhabers des Konfektionshauses Klein & Rosmansky, stammen unsere Zöglinge durchwegs aus unbescholtenen katholischen Familien deutschösterreichischer Herkunft. Trotzdem sei es nicht unwahrscheinlich, daß die Schülerkartei beschlagnahmt werde. Eine Vernichtung besagter Kartei, wie von Pater Willibald vorgeschlagen, lehnt der Rektor ab.
    15. / 16. März
    Mitten in der Nacht werden wir überraschend in die Kanzlei des Rektors gerufen. Am Schreibtisch sitzt aber nicht Pater Rektor, sondern ein Unbekannter in schwarzem Ledermantel. Er zückt einen Zettel mit fünf Namen darauf und verlangt, wir sollten die Zöglinge auf der Stelle zu ihm bringen. Als ich zu bedenken gebe, die Burschen würden schon schlafen, werde ich angeschnauzt und aufs Ungeheuerlichste beschimpft. Angeblich hätten sich einige Angehörige der Hitlerjugend von unseren Sturmschärlern bedroht gefühlt, dem werde jetzt nachgegangen. Und wenn wir nicht stante pede kooperierten, seien wir ebenso schnell Vergangenheit wie die feige „Schuschniggpartie“. Ich wecke die fünf und führe sie in die

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