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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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Kanzlei, die Ärmsten haben nur ihre Nachthemden am Leib und zittern wie Espenlaub. Jeder wird einzeln verhört, während die anderen auf dem Gang zu warten haben. Erst weit nach Mitternacht findet die Vernehmung ein Ende, danach werden nochmals alle Brüder hineinzitiert. Hämisch erklärt man uns, das Schloß und sämtliche Nebengebäude würden demnächst für die Wehrmacht requiriert, wir sollten schon einmal unsere Sachen packen. Dann ergreift der mit dem Ledermantel das Dollfuß-Bild, das auf dem Schreibtisch steht, und legt es mit der Bildseite nach unten hin. „Den brauchen wir jetzt nicht mehr“, sagt er und grinst. Die Buben sind ganz verstört, als sie endlich ins Bett dürfen. Ich bete noch bis zum Morgengrauen in der Kapelle.
    21. März
    Unsere Gymnasiasten berichten, auf der Schulbank von Peter Klein sei heute ein Plakat gehängt, worauf Hier sitzt ein Jud zu lesen war. Peter habe daraufhin wortlos die Klasse verlassen, ohne daß ihn jemand zurückgehalten hätte. Dabei zählte Peter immer zu den Beliebtesten, schon deshalb, weil er jeden die Hausübung abschreiben ließ. Die Heimleitung wird sich jedenfalls ehebaldigst mit der Angelegenheit befassen müssen, so oder so. Als sein Präfekt habe ich den Buben vorläufig vom Unterrichtsbesuch entbunden.
    2. April
    Pater Rektor hat zum dritten Mal mit einem Verantwortlichen der Wehrmacht verhandelt. Er bringt gute Nachricht mit nach Hause: Die Requirierung des Schloßes und der Nebengebäude dürfte abgewendet sein.
    4. April
    Frühmorgens erscheinen mehrere Uniformierte und nehmen Peter Klein mit, ohne jede Begründung. Ich tröste den Buben, so gut ich kann, und packe ihm ein belegtes Brot in den Ranzen. Zu Mittag heißt es, wir würden nun doch in ein anderes Gebäude übersiedeln, nach Gamprechtshausen vermutlich. Der alte Kindergarten dort ließe sich schnell als Schülerheim adaptieren, sodaß die Buben weiterhin die Schule in der Stadt besuchen könnten, auch wenn dadurch ein deutlich längerer Schulweg in Kauf zu nehmen wäre. Aber Pater Rektor meint, das letzte Wort sei in der Causa noch nicht gesprochen.
    6. April
    Wie zu vernehmen ist, wurde der Konfektionsladen der Familie Klein gestern geschlossen. Keine Nachricht von Peter.
    7. April
    Großes Aufatmen: Nach einem neuerlichen Gespräch mit dem Wehrmachtskommando teilt die Konviktleitung allen Eltern mit, daß die drohende Ausquartierung nunmehr vom Tisch ist. Eine Verschlechterung unserer Raumsituation wie auch ein längerer Schulweg konnten somit in letzter Sekunde verhindert werden – dem Verhandlungsgeschick unseres Rektors sei Dank!
    Hier endet die Chronik. Aufgewühlt legt Fidelis den Stapel Blätter auf das Nachtkästchen. Nie hat er einen der betagten Patres von der NS-Zeit erzählen gehört. Kein Wort davon, dass das Schloss auf dem Rosenhügel den Franziskanern damals beinahe weggenommen worden wäre. Und: Irgendetwas stößt ihm sauer auf bei dieser Geschichte. Er kommt nicht darauf, was genau der Grund dafür ist, aber seine innere Ruhe ist wie weggeblasen. Er schlüpft in die Hausschuhe und wirft sich einen Mantel über. In die Manteltasche packt er ein Fläschchen mit dunklem Saft. Mit der Mappe unterm Arm tritt er auf den dunklen Gang hinaus.
    Der dünne Lichtstreifen, der aus Pater Xavers Kammer dringt, zeigt ihm, dass der Bruder noch wach ist. Er legt das Ohr an die weiß gestrichene Tür – nichts ist zu hören. Einen Augenblick zögert er. Könnte sein Klopfen nicht die Buben im angrenzenden Schlafsaal aufwecken? Da wird die Tür geöffnet. Als hätte Xaver schon auf seinen Besuch gewartet.
    „Kannst auch nicht schlafen? Es liegt wohl am Vollmond.“
    Fidelis lächelt und zieht das Fläschchen aus der Tasche.
    „Ich hab dir etwas Gesundes mitgebracht.“
    Xaver nimmt das Substrat aus Kandiszucker und Rettichsaft, Schwester Romanas bewährtes Hausmittel gegen Husten, dankend entgegen und schlurft zurück zu seinem Bett.
    „Du entschuldigst, aber ich muss mich wieder hinlegen. Bin noch nicht ganz auf dem Damm.“ Seine müde Hand deutet auf einen Stuhl.
    Fidelis verzichtet darauf, Platz zu nehmen. Es ist spät, und er gedenkt sich nicht lange mit Floskeln aufzuhalten.
    „Ich komme, weil ich gerne wissen würde, ob du diese Handschrift kennst, Bruder.“
    Er öffnet den Bindfaden am Umschlag und verteilt die Blätter auf dem Bett, als würde er eine übergroße Patience legen.
    Pater Xaver tastet nach der Brille.
    „Was ... woher hast du das?“ Seine Stimme klingt

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