Jemand Anders
Fahrschülern zu werden. Sehr zum Missfallen der Internatsleitung, versteht sich.
Nach seiner kurzen Ansprache, in der er vor allem die laxe Handhabung der Ausgehzeiten seitens der Studenten kritisch aufs Korn nimmt, lädt Pater Rektor die kleine Gruppe ein, Fragen zu stellen. Das Gespräch will nicht so recht in Gang kommen. Das Gefühl, einer Pflichtveranstaltung beizuwohnen, überwiegt bei Schülern wie Patres. Pater Xaver gähnt fast schon demonstrativ, Pater Klaus nuckelt an seinem Pfefferminztee und der Rektor selbst hüstelt, als wolle er klarstellen, dass er gesundheitlich angeschlagen sei und bald ins Bett müsse. Wogegen keiner der Anwesenden etwas einzuwenden hätte. Schließlich pflegt der Studentenabend seit 1972, also seitdem ein großer Schwarzweißfernseher angeschafft wurde, in einen gemeinsamen Hock von Maturanten und Patres vor der Kiste zu münden.
Doch als alle schon damit rechnen, dass sich der müde Rex gleich zurückziehen werde und man es sich im Fernsehzimmer gemütlich machen könne, zeigt Alois Baumgarten auf. Fidelis macht den Rektor auf das Handzeichen des schüchternen Jungen aufmerksam.
„Ja, Alois?“
Der Alois stammt aus gutem Hause, schon sein älterer Bruder hat das Konvikt besucht, und die Familie Baumgarten, die vor dem Ersten Weltkrieg noch von Baumgarten hieß, zählt erklärtermaßen zu den finanziellen Förderern des Ordens. Wie es sich gehört, steht der Junge auf und zieht die Hosenbeine lang.
„Pater Rektor, also … ähm … ich hätte da eine Frage …“
„Nur zu. Heraus damit!“
„Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob … ich meine, ob Sie mir nicht böse sind, wenn ich …“
Der Rektor macht eine unbestimmte Geste mit seiner offenen Rechten. Mit ein bisschen gutem Willen kann man sie als Einladung interpretieren, nicht lange herumzureden und endlich loszulegen. Baumgarten räuspert sich.
„Also, es geht um den Mercedes. Das heißt, eigentlich ist es wegen dem zweiten …“ Wieder bricht er ab, senkt den Blick.
Der Kopf des Rektors wackelt ungehalten hin und her.
„Die Klarheit der Gedanken, junger Mann, ist ein untrüglicher Gradmesser für den Reifegrad eines Menschen.“ Er wendet sich an Fidelis. „Du bist doch sein Präfekt, nicht wahr? Sollte ein angehender Maturant nicht in der Lage sein, sich deutlich zu artikulieren?“
Ehe Fidelis Stellung beziehen kann, hat Baumgarten sich gefangen. „Ich würde halt gerne wissen, wozu das Internat eigentlich zwei Autos benötigt“, sagt er, ohne zu stottern. „Noch dazu zwei Mercedes.“
„Eine seltsame Frage! Worauf will er hinaus?“ Hilfesuchend schaut sich der Rektor nach seinen Mitbrüdern um.
Fidelis weiß genau, worauf Alois Baumgarten hinauswill. Der Junge hat ihn bereits früher einmal deswegen angesprochen. Ob der Heilige Franziskus nicht einen Bettelorden begründet habe, und wie man das Armutsgelübde mit zwei Luxuskarossen in der Garage vereinbaren könne. Fidelis hatte scherzhaft gemeint, Baumgarten möge doch bei Gelegenheit den Rektor selbst befragen; er, Fidelis, habe noch keines der Autos je benutzt und gedenke das auch in Zukunft nicht zu tun. Nun hat der Alois also Ernst gemacht und lässt sich auch durch die tiefen Furchen auf der Stirn des Pater Rektors nicht einbremsen. Mit roter Birne, aber fester Stimme hakt er nach.
„Mit Verlaub, der schwarze Zweihundertdreißiger ist doch noch bestens in Schuss, oder? Wieso braucht es dann zusätzlich einen neuen Zweihundertneunundachtziger?“
Pater Rektor schnappt nach Luft und tuschelt erregt mit Pater Xaver, der sich nun anstelle seines Chefs an den Jungen wendet.
„Du hast sicher von den Kreislaufproblemen unseres lieben Pater Rektor gehört, oder?“
„Ja, aber …“
„Du erinnerst dich sicher noch daran, wie er letzten Herbst zusammengebrochen ist und für eine Woche ins Spital musste. Nun, du musst wissen, in einem kleinen Auto wird ihm immer leicht schwindlig, und so ein Schwindelanfall könnte leicht ... Du verstehst? Tja, und genau deshalb braucht es einen großen Wagen, der ruhig läuft. Einen Mercedes eben. Ich denke, damit ist alles geklärt, nicht wahr?“
Pater Xaver blickt jedem Einzelnen der Jungs eindringlich in die Augen. Eine unangenehme Stille macht sich breit. Alle Blicke sind auf den Alois geheftet; verstohlen bettelnd die seiner Kollegen, mahnend jene der drei Patres: Setz dich, Mensch, begreif endlich, wie ungeheuerlich es ist, solche Fragen zu stellen! Ein Studentenabend ist nicht dazu da, um
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