Jene Nacht im Fruehling
denn in jener Frühlingsnacht des Jahres 1928 wirklich passiert war. Die Zeit, als sie noch voller Haß an ihre Großmutter gedacht hatte, weil sie ihre Familie scheinbar grundlos verlassen und ihr großes Leid zugefügt hatte, lag erst ein paar Wochen zurück. Doch nun hatte sie ihre Großmutter wiedergefunden und die Tränen in ihren Augen gesehen, als sie, Sam, ihren Großvater Cal erwähnte, und da hatte sie, Sam, sofort erkannt, daß ihre Großmutter Maxie Großvater Cal sehr, sehr geliebt haben mußte. Und was noch wichtiger war: Maxie liebte sie, ihre Enkelin. Den Beweis dafür hatte sie ihr mit ihrer Reaktion geliefert, als Mike erzählte, daß jemand versucht hatte, ihre Enkelin umzubringen.
»Ich wünschte, ich wüßte, was meine Großmutter gerne ißt«, sagte Samantha. »Ich wünschte, ich könnte ihr einen Schokoladenkuchen oder so etwas Ähnliches mitbringen -etwas, das sie wirklich mag und was ihr nicht schadet und was sie ganz bestimmt nicht in diesem schrecklichen Heim bekommt.«
Da legte ihr Mike die Hände auf die Schultern und blickte ihr ernst in die Augen.
»Kann ich denn gar nichts sagen, was dich davon abhalten kann? Wenn ich dich nun darauf hinweise, daß der Mann, der dich umbringen wollte, dieses Haus und dich noch immer beobachten könnte? Und daß du dann damit rechnen mußt, daß er dich bis zu dem Pflegeheim verfolgt? Glaubst du, daß deine Großmutter noch kräftig genug wäre, so ein Attentat, wie du es erlebt hast, heil zu überstehen?«
Samantha hatte auch daran schon gedacht und das Für und Wider gegeneinander abgewogen. »Wie lange, glaubst du, hat sie noch zu leben?«
»Als ich das erstemal Kontakt mit ihr aufnahm«, antwortete Mike, er es für unverantwortlich hielt, ihr in diesem Punkt die Wahrheit zu verschweigen, »sagte mir ihr Arzt, er gäbe ihr höchstens noch drei Monate.«
Samantha holte tief Luft. »Wenn du Maxie wärest, viele, viele Jahre allein gelebt hättest und nun die Chance bekämst, ein paar Wochen mit jemandem zusammen sein zu können, den du liebst - würdest du das riskieren?«
Er wollte Sam darauf hinweisen, daß man aus der Tatsache, daß Maxie vor siebenundzwanzig Jahren ihre Familie in Louisville verlassen hatte, nicht unbedingt folgern könne, sie habe seither immer allein gelebt - aber er sagte ihr das nicht. Vielmehr fragte er sich jetzt, als er daran dachte, in was für einem scheußlichen Heim Maxie untergebracht war, ob Samantha mit ihrer Vermutung nicht recht haben könne und Maxie tatsächlich all die Jahre über allein gelebt hatte. Sie konnte doch ihre Familie aus Angst vor Entdeckung verlassen haben, und dann machte es wenig Sinn, wenn sie an einem anderen Ort durch rege Anteilnahme am gesellschaftlichen Leben Aufsehen erregte - oder etwa nicht?
»Sollten sich unter diesen Aufnahmen auch irgendwelche Nacktfotos von dir befinden?« fragte er.
Lachend bewegte sie sich von ihm fort. »Ja - im Alter von achtzehn Monaten auf einem Eisbärenfell.«
»Hm, wie wäre es mit einem auf dem du achtzehn Jahre alt bist - noch immer jung, aber schon heiratsfähig?«
»Was soll das heißen? Daß ich jetzt nicht mehr jung bin?«
Mike zuckte mit den Achseln. »Jung im Körper, alt im Geist. He! Meinst du, daß Maxie gern Kaviar essen würde? Wir könnten an der Russischen Teestube anhalten und Blinis kaufen.«
Samantha war mit ihren Gedanken noch immer bei dem jungen Körper, in dem ein alter Geist wohnte. »Ich könnte mir vorstellen«, erwiderte sie, »daß sie Kaviar mag. Es hört sich zumindest gut an. Ich hoffe nur, daß uns das Heim nicht zu große Schwierigkeiten machen wird.«
In diesem Moment kam Mike, wie er hoffte, eine gute Idee. »Überlaß das Heim nur mir«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, daß man sie essen läßt, was immer sie will, und daß man sie in Zukunft nur noch gut behandeln wird.«
22
Es war fast sechs, als sie am Pflegeheim ankamen. Samantha trug ihr rotes Valentino-Kostüm, dazu hochhackige Manolo-Blahnik-Schuhe und eine rote Chanel-Handtasche. Seit sie wußte, wieviel ihre neuen Sachen gekostet hatten, hatte sie fast Angst, diese zu tragen oder mit ihnen in eines dieser schmutzigen New Yorker Taxis steigen. Deshalb fragte sie Mike hoffnungsvoll, ob er vielleicht bereit wäre, wieder einen Privatwagen zu mieten; aber er sagte, nein, dazu wäre er nicht bereit.
Und weil er das gesagt hatte, war sie nicht auf diese lange schwarze Limousine vorbereitet, die vor Mikes Haus vorfuhr. Ihr stand noch immer vor Staunen
Weitere Kostenlose Bücher