Jenseits aller Tabus
Beutel dienten als Schutz, und sie konnten leicht beschriftet werden. Bei Craig, Mad, Taylor und Nate würde Lucille es schon irgendwie schaffen, an Trinkgläser zu kommen. Michelle dagegen stellte ein Problem dar, weil sie die Villa nicht mehr aufsuchte. Ebenso problematisch schien es, an die Fingerabdrücke von Patrick zu kommen, da er nicht mit dem restlichen Personal zusammen aß und selten das Haus verließ. Es bestand immer die Gefahr, von ihm erwischt zu werden, sollte sie versuchen, in seinem Büro oder seiner Wohnung nach einem Gegenstand zu suchen, von dem man brauchbare Abdrücke nehmen und der verschwinden konnte, ohne dass Patrick Verdacht schöpfte.
Aber im Moment ist er abgelenkt, dachte sie und presste die Tüten fester zusammen. Sie musste die Gunst der Stunde nutzen!
Obwohl Lucille durch den Korridor rannte, bemühte sie sich, so federleicht wie möglich aufzutreten. Der Teppich half ihr dabei. Sie versicherte sich, dass Patrick noch mit Cory im Büro sprach, und sprintete die Treppe hinunter.
Vor Patricks Kellerwohnung blieb sie stehen. Ihr Herz klopfte wild. Aufgeregt drückte sie die Türklinke herunter. Glücklicherweise stellte sich die Tür als unverschlossen heraus, was Lucille vermuten ließ, dass Patrick nur kurz in sein Büro gegangen war, um Cory nach Hause zu schicken.
Das bedeutete, sie musste sich beeilen.
Rasch trat sie ein und stand mitten im Wohnbereich, von dem aus ein kleines Bad und der Schlafraum abgingen. Sie schaltete die Spiegellampe im Bad ein, damit sie das Wohnzimmer indirekt beleuchtete, aber das Licht nicht bis in den Gang drang, und schloss die Eingangstür hinter sich. Neugierig sah sie sich um.
Patrick bevorzugte offenbar klare Strukturen und die Farbkombination Rot-Schwarz. Damit hatte Lucille nicht gerechnet. Rot war die Farbe der Liebe und Leidenschaft, und beides brachte sie nicht mit dem Butler in Zusammenhang, der genauso steif wie seine gestärkten Hemdkragen war.
Leider hatte Patrick sein Geschirr schon in die Küche im Obergeschoss geräumt. Auf einem Beistelltisch aus Glas fand sie eine Flasche mit stillem Mineralwasser, aber die beiden Trinkgläser standen unbenutzt mit der Öffnung nach unten.
Sie erschrak, als eine Männerstimme im Treppenhaus ertönte. Rasch löschte sie das Licht im Badezimmer und wollte die Wohnung verlassen, aber da war es schon zu spät. Sie flüchtete in eine Ecke, die halb von einem Sekretär und halb von einem Benjamini verdeckt wurde.
»Gleich werden wir herausfinden, ob du den Befehl deines Herrn und Meisters artig befolgt hast«, hörte sie einen Mann direkt vor der Wohnungstür sagen.
Zuerst erkannte sie ihn nicht, weil das lustvolle Timbre seiner Stimme nicht zu seinem ansonsten reservierten Auftreten passte. Doch als er in das Apartment eintrat und die Lampe neben der Couch anschaltete, sodass der Hauptraum in ein warmes Licht getaucht wurde, stellte sich heraus, dass es tatsächlich Patrick gewesen war.
Kaum hatte Cory die Wohnungstür hinter sich zugezogen, legte Patrick den Arm um die Hüften des blonden Latinos, zog ihn an sich und küsste ihn.
Schleunigst legte Lucille die Hand auf ihren Mund, um nicht vor Überraschung einen Laut von sich zu geben.
35. KAPITEL
Als Patrick den Kuss beendete, hatte er das erste Mal, seit Lucille ihn kannte, leicht gerötete Wangen. Das bisschen Farbe stand ihm gut, ebenso das Lächeln, das seine Lippen umspielte. Sein Gesicht wirkte nicht mehr so starr wie eine Wachsmaske, sondern viel weicher.
Cory, einen Kopf kleiner als der Butler, schaute zu ihm auf, wie ein Schüler, der seinen Lehrer anhimmelte. Seine Hose zeigte eine deutliche Wölbung.
Selbst Lucille, die keine drei Schritte entfernt in der Ecke kauerte, spürte das Knistern zwischen den beiden. Lüsternheit erfüllte das Apartment. Patrick und Cory begehrten einander offensichtlich mit Haut und Haaren, denn sie wirkten für Lucille, als würden sie sich jeden Moment aufeinanderstürzen und in hemmungsloser Wollust verschmelzen.
Tatsächlich machte Cory einen Schritt auf Patrick zu, doch dieser hob seine Hand und stoppte ihn. Folgsam blieb der Brasilianer stehen.
Lucille rief sich die Worte des Hausvorstehers ins Gedächtnis: »Gleich werden wir herausfinden, ob du den Befehl deines Herrn und Meisters artig befolgt hast.« War das nicht nur irgendein Spruch gewesen, um den Gärtner anzumachen, sondern beschrieb es ihre sexuelle Beziehung? Bei den Treffen von Ava und Cory, bei denen Lucille anwesend gewesen
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