Jenseits aller Vernunft
die Hände in die Taschen. »Davon rede ich nicht.« Wieder angespanntes Schweigen. »Ich glaube, es wird nichts werden mit uns«, sagte er mit jener tödlich ruhigen Stimme, die ihr angst machte. »Sobald wir in Texas sind, werde ich die Scheidung einreichen.« Sie hielt den Kopf gesenkt, so dass er ihre erschütterten Züge nicht sah. »Es wird schon irgendwie gehen.«
»Ja«, erwiderte sie heiser. »Wahrscheinlich.«
»Ich werde die notwendigen Vorkehrungen treffen.«
»Ist gut.«
»Verdammt, Lydia, willst du mich bitte wenigstens ansehen?« befahl er in etwas lauterem Ton als ihr bisheriges Flüstern. Er wirkte verärgert, als sie ihr bemüht gefa ss tes Gesicht hob. Sie würde nicht weinen. Bestimmt nicht. Scheinbar gleichmütig starrte sie ihn an, so dass ihre Verzweiflung unsichtbar blieb. »Sag doch was«, kommandierte er barsch.
Was sollte sie sagen, wo er ihr doch gerade mitgeteilt hatte, dass er sie irgendwo im Nichts absetzen würde, wo sie sich gerade daran gewöhnt hatte, mit ihm zu leben: dass sie sich gern von Lee trennen würde? Dass sie sich freuen würde, wieder allein zu sein und ohne Gesellschaft? Natürlich glaubte er, dass sie sich selbst versorgen konnte, als Dirne. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie würde ihm nicht die Befriedigung liefern, sie weinen zu sehen. Natürlich konnte sie selbst für sich sorgen, das hatte sie schon einmal geschafft.
Sie hob das Kinn etwas weiter. »Jetzt muss ich aber wirklich zu Lee«, sagte sie nur und verschwand.
Als sie zurückkam, stand er neben seinem gesattelten Pferd und befestigte eine volle Satteltasche darauf. »Ich werde ein oder zwei Tage fortsein. Scout und ich wollen uns auf dem Weg weiter vorn mal umsehen. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich an Bubba wenden.«
Ihr sank das Herz. »Ist gut, Ross.« Er kam zu ihr, und die Sporen an seinen Stiefeln klirrten. Das fröhliche Geräusch störte sie richtig.
Er klopfte sanft Lees Rücken und bückte sich, um ihn auf die Schläfe zu küssen. »Auf Wiedersehen, mein Sohn.« Lydia spürte seinen warmen Atem an ihrer Schulter und am Hals. Er war so nah und roch so gut nach Pferden und Leder und Rasierseife und Mann.
Als er den Kopf hob, begegneten sich ihre Blicke, und sie sahen sich eine ganze Weile lang an. Sie wünschte sich wenigstens ein nettes Wort von ihm, eine kleine Geste, die ihr zu verstehen gab, dass er sie nicht verachtete. Nichts dergleichen erfolgte. Er wandte sich ab, setzte den Hut auf und sprang locker in den Sattel.
Auf sein Zungenschnalzen hin setzte sich der mächtige Hengst in Bewegung. »Ross«, rief sie eilig und lief zwei Schritte hinter ihm her. Er zügelte das Pferd und sah auf sie herab. »Sei vorsichtig«, flüsterte sie. Unter seiner Hutkrempe sah sie seine Augen weit werden, dann nickte er und ließ das Pferd antraben.
Es war ein heißer Tag, und alle freuten sich, dass der Wagenzug nicht sehr weit fuhr. Sie schlugen schon früh das Lager auf. Ma wies Bubba und Luke an, Feuerholz zu sammeln. »Beeilt euch, damit ich mit dem Abendessen beginnen kann. Lydia ißt mit uns. Ich finde, sie sieht etwas mitgenommen aus; sie soll heute zeitig zu Bett gehen.«
Die Jungen waren schon ein ganzes Stück unterwegs, da blieb Bubba stehen und flüsterte: »Ich hab ’n Vorschlag für dich.«
Luke nahm den Llut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte mi ss trauisch: »Was?«
»Wie war’s, wenn du heute abend für Ross’ Pferde sorgst?«
Interessante Idee. Luke war immer noch eifersüchtig auf die gute Beziehung, die Bubba zu ihrem gemeinsamen Vorbild hatte. Doch diese Großzügigkeit kostete sicherlich einiges. »Was muss ich tun?«
»Das Feuerholz allein weitersammeln und vergessen, wo du mich zuletzt geseh’n hast, wenn Ma fragt.«
Luke betrachtete seinen Bruder mit argwöhnisch zusammengekniffenen Augen. Bubba hatte sich die H aare gebürstet und ein frisches Hemd angezogen. »So wie gestern abend, wie? Du willst wieder zu Priscilla, stimmt’s?«
»Geht dich nix an. Willste nun oder willste nich?«
Luke lachte über den Eifer seines Bruders, dann dachte er nach. Bubba ballte die Fäuste, riss sich aber zusammen, um nicht durch seine Ungeduld die Chance zu vermasseln. Luke meinte: »Wie wär’s, wenn ich den Mund halte, Holz hole und du mir noch das Taschenmesser gibst, das du bei dem Händler kürzlich gekauft hast?«
»Ach, Scheiße«, sagte Bubba wild. »Das is’ nicht fair, das Messer hab’ ich doch erst neu.«
Luke zuckte mit
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