Jenseits der Eisenberge (German Edition)
immer man als Vormund für deinen Kleinen auswählt?“ Albor schüttelte den Kopf. „Kapier ich nich’.“
„Friedlich wird es nicht bleiben, es wird sich jedoch vermutlich auf einzelne Aufstände oder Putschversuche begrenzen. Diese einzelnen Aufstände könnten selbstverständlich trotzdem entarten und zu einem Krieg auswachsen, der das gesamte Land verheert. Diese Gefahr geht Maruv gerne ein. Er weiß, dass dies wahrscheinlich seine letzte Gelegenheit ist, mich vom Thron fernzuhalten. Interessant ist dabei die Haltung meines Schwiegervaters. Archym ist nicht einverstanden mit Maruvs Regentschaft, aber er hatte gehofft, dass ich ein Schwächling bin, den er nach Belieben manipulieren kann, als er meiner Hochzeit mit Elyne zustimmte. Auch seine Erwartungen habe ich enttäuscht, er fürchtet, was ich tun könnte, um ihn zu entmachten.“
„Würde er sich wirklich gegen dich stellen?“, fragte Albor.
„Er hat wenig Spielraum. Er will sich nicht auf meine Seite stellen und mich unterstützen, schon um Maruv friedlich zu halten. Er will mich aber ebenfalls nicht umbringen und auf einen gefälligeren Schwiegersohn hoffen, der sich zurzeit nicht anbietet. Ich weiß nicht, was er tun würde, wenn sich ihm eine Möglichkeit öffnet, aus dieser Zwangslage auszubrechen. Ich weiß nur, dass er in Purna war, als Kirian gefangen genommen wurde, und dass er nicht eingeschritten ist.“ Sie wechselten alle einen langen Blick. Es gab nichts mehr zu sagen.
Lys umarmte Albor kurz, dann stieg er auf sein Pferd. „Egal was mit mir geschieht, Lynn darf nicht in Maruvs Hände fallen. Versprich mir das, Albor. Lieber soll er dereinst in Armut, aber als freier Mann sterben, als zur Marionette dieses Königs zu werden, der so viel Leid über unser Land gebracht hat.“
„Ich schwöre es“, murmelte Albor, doch Lys hörte ihn bereits nicht mehr.
Müde starrte er dem jungen Fürsten mit seinen beiden Soldaten hinterher.
„Von welchem Leid hat Lys gesprochen?“, fragte Onkar und kratzte sich ratlos am Kopf. Albor lächelte. Auch er war so sehr an die Zustände in Onur gewöhnt, dass er nicht sofort begriffen hatte, was Lys meinte.
„Maruv hat dem Adel damals die Steuern erlassen. Heißt, die hohen Herren zahlen nichts, wir hingegen alles. Wer genug Geld und Soldaten besitzt, kann jederzeit einen anderen Adligen angreifen und dessen Ländereien und so an sich reißen. Das Spiel muss schon immer schlimm gewesen sein, Kleiner, aber erst seit Maruv geht es bloß darum, Macht zu gewinnen und zu behalten. Bei ihm beginnen und enden alle Intrigen und Fehden.“
„Nur noch die Priester kümmern sich um die Armen und Krüppel, nach jedem Feldzug werden’s mehr“, fiel Tilas mit ein. „Und die Waffenschulen hat er zugemacht. Kostet viel Zeit und Geld, Soldaten anständig auszubilden, und am Ende hat man dann vielleicht noch Krieger, die sich zu einem Umsturz organisieren könnten“, fuhr Albor fort. „Lys’ Bogenschützen gehören nicht umsonst zur Elite des Landes. Maruv macht alles kaputt, was es an Wissen gibt. Dumme Menschen lassen sich leichter unterdrücken.“
Eine Welt, in der aufrechte Männer nicht zu Dieben oder Bettlern werden mussten, sobald sie nicht mehr als Soldat taugten, eine Welt, in der alle Menschen genug zu essen hatten und ein Bauer genauso viel Gerechtigkeit erfuhr wie ein Fürst – an eine solche Welt glaubte Albor nicht. Aber möglicherweise konnte Lys tatsächlich dafür sorgen, dass die Dinge ein winziges bisschen besser werden würden … vorausgesetzt, er überlebte.
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Lamár starrte mit brennendem Blick auf das Elend, das sich vor ihm ausbreitete. In den vergangenen Tagen hatte er geglaubt, mehr Schmerz, Hunger und Leid erfahren zu haben, als ein menschliches Wesen überhaupt ertragen konnte. Zwar waren sie dem Schneesturm recht schnell entronnen, doch da einige Lasttiere auf dem Bergpass verendet waren, musste Lamár genau wie alle, die nicht zu den Mebanas zählten, die Waren tragen helfen. Ruquinn hatte ihn den ganzen mühevollen Weg lang erniedrigt und geschlagen, wann immer er einen Grund dafür fand – und oft genug auch ohne jeden Anlass. Sein Mebana – oh, wie er dieses Wort bereits hasste! – ließ ihn niemals aus den Augen, bis sie im Palast von Layn Kumien, Herrscher über Irtrawitt angelangt waren. Von diesem Palast oder Irtrawitt selbst hatte Lamár wenig zu Gesicht bekommen, da sie nachts angekommen waren und noch vor dem Morgengrauen wieder abreisten. Layn
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