Jenseits der Eisenberge (German Edition)
fürchten zu müssen, deswegen angegriffen zu werden! Ich will nachts in Kirians Armen liegen, ohne ihn am Morgen schon fortschicken zu müssen … Ach, ich jammere wie ein altes Weib.
Er war fast eingeschlafen, als sich die Stalltür öffnete. Lys blickte hoch in der Erwartung, dass Erek, Nikor oder auch beide nach ihm sehen wollten, doch die Umrisse der dunklen Gestalt in der Tür waren ihm fremd. Er hielt unwillkürlich den Atem an, obwohl es keinen Hinweis gab, dass der Unbekannte nicht einfach zu seinem Pferd wollte. Langsam setzte er sich auf, ohne das geringste Geräusch zu verursachen.
In diesem Moment schloss der Fremde die Tür und kam direkt, ohne zu zögern, auf Lys zu. Ein Schatten, der mit der Dunkelheit verschmolz. Lys blieb nicht einmal mehr Zeit, seinen Dolch zu zücken, schon kniete die Gestalt vor ihm nieder. Lys drückte sich an die Wand zurück, die Hand am Waffengurt; aber der Fremde machte eine beschwichtigende Geste und rückte zugleich ein Stück von ihm ab.
„Nicht, junger Herr, fürchtet mich nicht.“
„Wer seid Ihr?“ Lys blieb misstrauisch, er kannte die Stimme des Mannes nicht. Zudem schwang ein fremdländischer Akzent darin.
„Mein Name ist bedeutungslos, Fürst von Corlin. Ich bin ein Priester des Himmlischen Herrschers, mehr braucht Ihr nicht zu wissen.“
„Woher wusstet Ihr …?“, begann Lys, doch der Priester fiel ihm augenblicklich ins Wort:
„Man hat mir gesagt, dass Ihr kommen würdet. Ich konnte Euch deswegen erspüren.“ Er legte einen Finger an das Amulett, das Lys von der Priesterin in Purna erhalten hatte und seitdem an der Silberkette um den Hals trug. „Nur Geweihte der Göttlichen können die schwache Energie, die von diesem Amulett ausstrahlt, spüren und richtig deuten.“
Lys roch die vertraute Mischung von Ölen und verbrannten Kräutern, die jedem Priester stets anhing; es beruhigte ihn mehr als alle Worte und Beteuerungen.
Die Stalltür öffnete sich erneut, eine Laterne beleuchtete Ereks stämmige Gestalt. Der Priester verbarg sich gedankenschnell in die Schatten.
„Lys?“, wisperte Erek kaum hörbar. Schon vor Tagen hatten sie begonnen, vertraut miteinander zu reden, wenn niemand in der Nähe war.
„Komm her, ich bin …“ Lys blickte zur Seite, wo der Priester gerade noch im Stroh gekniet hatte, doch da war nichts mehr zu sehen. „… allein“, beendete er den Satz matt.
„Wollt Ihr wirklich hier übernachten? Wir haben einen ruhigen Schlafraum mieten können, es wäre Platz genug für drei.“ Erek kam zu ihm herüber. Nach kurzem Zögern setzte er sich zu ihm nieder, offenkundig bedrückt. „Verzeiht, ich habe viel zu heftig zugeschlagen“, flüsterte er.
Lys winkte beruhigend ab: „Denk nicht mehr dran, es war notwendig. Wenn jemand nach Reisenden fragt, wird er sich an zwei Adlige mit einem Tollpatsch von Knecht erinnern, nicht an einen Herrn, auf den vielleicht die Beschreibung eines gewissen Fürsten passen könnte. Es ist nicht deswegen, keine Sorge.“ Seufzend schüttelte er den Kopf. „Lass mich einfach hier, ich bin zu müde, um jetzt noch Treppenstufen zu steigen. So habt ihr beide mehr Platz, und ich werde hier gut schlafen. Es dient der Tarnung.“
„Lys, bitte, das ist doch nicht nötig …“
„Ich möchte es so.“
„Wie Ihr wollt“, erwiderte Erek zögernd. Man sah ihm selbst im Dämmerlicht an, dass er nicht glücklich über die Situation war.
„Die Pferde werden mich warnen, wenn sich hier ein Feind einschleichen sollte. Aber Erek, das ist unwahrscheinlich. Niemand weiß, dass ich hier bin! Mit einem Pferdedieb werde ich auch allein fertig.“
„Ich weiß, Herr.“
Lys drückte ihm die Hand. „Ich bin eurer Gesellschaft nicht überdrüssig, wenn du das denkst.“
„Nein“, wisperte Erek hastig. „Ihr seid so niedergeschlagen, Lys, seit Tagen schon.“
„Nichts, was du ändern könntest. Mach dir keine Sorgen, mir geht es gut. Ich bin froh, dass ihr bei mir seid. Und ich schwöre, ich werde nicht ohne euch von hier verschwinden.“
Noch immer zögernd nickte der Gardist, wünschte ihm eine gute Nacht und verließ dann den Stall.
„Ihr seid klug in der Wahl Eurer Gefolgsleute“, sagte der Priester leise. „Schlaft, junger Herr. Morgen früh komme ich zu Euch zurück, wir müssen etwas bereden.“
„Das können wir auch jetzt …“, begann Lys, doch der Mann schritt bereits auf die Tür zu.
„Morgen früh. Schlaft!“, wiederholte der nachdrücklich und verschwand.
Irgendwie
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