Jenseits der Eisenberge (German Edition)
forschenden Blick stand, mit dem Lys versuchte, sein Gesicht zu lesen. Schließlich gab Lys nach und holte das Amulett hervor.
„Was hat es hiermit auf sich?“
„Ich bin nicht in alle Einzelheiten eingeweiht. Diese Art von Energie, die ich an ihm spüre, deutet auf ein Ritual hin, bei dem Himmel und Erde vereint wurden, was nur selten geschieht. Hebt es gut auf, wenn ich Euch raten darf, ich vermute Ihr werdet es brauchen, um Euren verlorenen Schatz finden zu können.“
Es gab kein Anzeichen, dass der Geweihte log oder möglicherweise ein Betrüger war, trotz dessen seltsamer Ausdrucksweise, die viele Fragen aufwarf. Fragen, die er nicht beantworten würde. Schließlich nickte Lys ergeben. „Nikor, Erek? Ihr müsst mich nicht auf diesem Weg zu begleiten, wenn ihr Zweifel habt. Auf der anderen Seite der Berge werdet ihr mich nicht beschützen können, möglicherweise wäre ich allein sogar besser gestellt.“ Er wusste, dass diese Worte vergebens waren, doch er wollte sie wenigstens ausgesprochen haben.
„Wir bleiben, Herr, und falls Ihr uns fortschickt, folgen wir Euch heimlich“, erklärte Nikor stolz.
„Ihr habt wahrlich Glück mit der Wahl Eurer Begleiter“, sagte der Geweihte lächelnd und schritt dann zurück zur Straße. „Wenn wir uns nun also einig sind, sollten wir uns eilen. Es ist noch ein langer Weg bis zur Pforte, die ins innerste Gebein der Berge führt.“
„Dort soll es Drachen geben“, flüsterte Nikor unbehaglich, während er auf sein Pferd stieg.
„Drachen?“ Erek schnaubte verächtlich. „Und sonst? Ein paar Gehörnte vielleicht? Den finstersten Schattenfresser persönlich?“
„Man sollte vorsichtig sein“, sagte der Geweihte, ohne sich umzudrehen oder anzuhalten. „Niemand weiß, was alles dort unten in den Tiefen lebt. Zumindest gibt es keinen logischen Grund davon auszugehen, dass die Anwesenheit von feindlichen Kreaturen, ob gehörnt oder geschuppt, ausgeschlossen ist.“
Lys zwinkerte seinen Gefährten zu, die erschrocken auf den Priester starrten. „Nun kommt! Egal, was dort unten ist, wir finden es nur heraus, wenn wir ihm folgen. Es sei denn, ihr habt es euch anders überlegt?“
Zögernd schlossen sie zu ihm auf. Es beruhigte sie wohl kaum zu sehen, dass Lys ebenso angespannt war, wie sie sich selbst vermutlich fühlten, doch sie schienen beide entschlossen, ihn nicht allein zu lassen.
Wahrlich, ich habe Glück mit der Wahl meiner Gefährten … Und ihr, habt ihr auch Glück mit der Wahl eures Herrn?
8.
Frierend und übermüdet stolperte Erek hinter seinen Gefährten her. Nikor erging es offensichtlich kaum besser, so zusammengesunken und steif, wie er lief. Falls ihr Herr ebenfalls unter Kälte, Müdigkeit oder dem überaus steilen Anstieg zu leiden hatte, war davon nichts spüren. Wie gewöhnlich bewegte sich Lys mit spielerischer Anmut und sprach ungezwungen mit diesem Priester, während sie einem unwegsamen Pfad folgten, der sie mal über Geröllfelder, mal durch finsteren Nadelwald, mal in unbehagliche Nähe des Abgrundes führte. Erek seufzte innerlich, er wusste genau, wie hoch der Preis war, den sein starrsinniger Herr für seinen Stolz zahlte. Er war dabei gewesen, als Kirian ihn beinahe zu Tode geprügelt hätte, er hatte ihn erlebt, wie er nach dem tödlichen Duell mit seinem Bruder fast zusammengebrochen war. Auf der Hochzeit von Lys und Elyne hatte er zur Ehrenwache gehört. Damals hatte er ihn zum ersten Mal gesehen und dabei wie so ziemlich alle anderen geglaubt, es mit einem albernen, eitlen und dummen Jüngling zu tun zu haben. Ein schwacher, allzu hübscher Fürstensohn, hoffnungslos verliebt in eine Frau, die ihm in allen Belangen überlegen war, trotz ihrer sechs Jahre Altersunterschied. Er kannte Lys in seinen stärksten wie auch seinen schwächsten Momenten. Als Fürst Archym von Lichterfels damals ausgerechnet ihn, Erek, zusammen mit seinem um ein Jahr jüngeren Vetter Nikor in die Eskorte des jungen Corlin geschickt hatte, war er sicher gewesen, dass man gar nicht mehr tiefer sinken konnte. Gewiss, es war eine vergleichsweise milde Strafe dafür, dass sie beide volltrunken ihre Wachposten auf Lichterfels verlassen hatten, doch Erek hätte Kerkerhaft oder Peitschenhiebe jederzeit vorgezogen. Aus der unliebsamen Aufgabe war ein Albtraum geworden, als sich Lys als strenger, gefühlskalter Fürst entpuppte, der seine Männer mit Spott und scharfen Worten führte. Wie hatten sie ihn gefürchtet, als sie glaubten, er wolle diesen
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