Jenseits der Finsternis
ein freundlicheres Gesicht gegeben und sogar ein Streichquartett engagiert, das den Beginn der Veranstaltung festlich untermalte. Teilnehmer waren in erster Linie die Chef- und Fachredakteure der wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften. Außerdem einige Herren des Gesundheitsministeriums und die zuständigen Abgeordneten der politischen Parteien. Ferner natürlich Fernsehen und Rundfunk.
Vor der Schmalwand mit Ausblick auf den Parc-de-Montsourie hatte man ein Podest errichtet, auf dem saßen der Professor mit seinen drei Assistenz-Ärzten und – als unübersehbare Hauptpersonen – die fünf Frauen mit ihren Azzocottalyt-Herzen.
Neben dem Podest waren zwei Stative postiert, die Tablette trugen, und darauf standen Modelle des Kunstherzens. Einmal in Originalgröße, und da dieses von allen Plätzen des Saales nicht deutlich zu erkennen war, eine achtfache Vergrößerung. Vor Beginn der Veranstaltung hatten sich die meisten Besucher diese Modelle aus der Nähe angesehen, und alle waren erstaunt, um nicht zu sagen verblüfft, über die Winzigkeit des Organs. Es war nur ein wenig mehr als halb so groß wie das menschliche Herz, und damit daran kein Zweifel entstehen konnte, befand sich auch vom menschlichen Herzen ein Modell neben des Professors Schöpfung.
Einer der sachkundigsten Zuschauer war der Chefredakteur einer führenden Illustrierten. Er machte eine recht unglückliche Figur, denn er hatte vor anderthalb Jahren in einer Glosse das Kunstherz abgelehnt, und betrüblicherweise in einem sarkastischen Ton, der sonst bei seinem Blatt eigentlich verpönt war. Die nach seiner Meinung hochnäsige Art, in der Professor Labonne sein Erzeugnis auf einer Redaktionssitzung vorgestellt hatte, war die Ursache. Aber nun war ja an dem Erfolg nicht mehr zu zweifeln.
Andere Schriftleiter von anderen Zeitschriften hatten sich dieser Gefahr nicht ausgesetzt. Sie hatten das Kunstherz zwar auch für blanken Blödsinn gehalten, diese Meinung aber bei sich behalten. Und nun saßen sie da als die großen Koryphäen, die im Glanz ihres Sachverständnisses die Arme über der Brust verschränkten und sich mit dem milden Lächeln der Großzügigkeit zurück in ihre Stühle lehnen konnten.
Dies geschah – wie gesagt – einen Tag, bevor das Versuchsjahr zur Gänze abgelaufen war. Die Veranstaltung dauerte nur 75 Minuten. Ausführlicher und auf wesentlich höherem Niveau sollte der Jubiläumstag ablaufen, wenn die medizinische Fachpresse das Wort haben würde, und in dieser Hinsicht hatten sich die kritischen Hauptschriftleiter einiges vorgenommen, denn sie waren bei weitem nicht mit allem, was Labonne tat, einverstanden.
Für den ersten Abend hatte der Professor auf ein Zusammensein mit seinen ehemaligen Patientinnen verzichtet, und zwar auf deren Wunsch. Sie wollten sich zusammensetzen, um ihre Erlebnisse, Gedanken und Hoffnungen während des verflossenen Jahres zu diskutieren.
Der Professor war sehr mit diesem Vorschlag einverstanden, denn er hoffte, daß die recht verwirrten Frauen auf diese Weise sich akklimatisieren würden.
Sie hatten auch vorgeschlagen, die Nacht gemeinsam zu verbringen, wie sie es vor und nach der Operation getan hatten. Dieses wurde ihnen ebenfalls zugestanden und der 6-Bettenraum wieder freigemacht, der sonst für Kinder reserviert war, weil die jugendlichen Patienten Angst vor dem Alleinsein hatten.
Bis hierher ist der Ablauf der Ereignisse durch mehrfache Zeugen sozusagen minutengenau dokumentiert. Aber hiermit endet der Handlungsfaden abrupt und findet seine Fortsetzung erst am nächsten Morgen 6 Uhr 30, als die Frühschwester nichtsahnend den Raum betrat und dann schreiend das ganze Krankenhaus alarmierte.
Assistenzarzt Dr. Raimonde Sabatte und die Nachtschwester eilten im Sturmschritt herbei, und obwohl beide Schlimmes in ihrem Beruf erlebt hatten – viele Straßenunfälle sind auch für Ärzte nicht leicht zu ertragen – schlug ihnen die Aufregung bis in den Hals hinauf, als sie sich über die Tote beugten.
Folgendes fanden sie vor: Die Patientin Denise Zézalon lag blutüberströmt auf dem Fußboden. Ihre dünne Bluse war zerrissen, der Büstenhalter hing zwar mit einem Träger noch über der Schulter, war dann aber zur Seite geworfen worden, so daß er jetzt das Gesicht zur Hälfte verbarg. Dicht unter der Brustwarze klaffte eine tiefe Wunde, aus der das Blut abgeflossen war. Weil ein Teil der Blutbahn aber bereits mit einer Kruste überzogen war, mußte die Tat wahrscheinlich bereits gestern
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