Jenseits Der Schatten
ist heikel«, hatte Durzo gesagt. »Wasser, Wein, Blut, Schweiß, fast jede nasse Substanz sollte es auslösen. Aber es kann instabil werden. Also, bei den Nachtengeln, öffne es bloß nicht, wenn auch nur schwüles Wetter herrscht.«
Lächelnd steckte Kylar die Phiole ein. Schweiß. Er hätte die Flasche gern auf Terah Graesins inzüchtigem Bett ausgeleert, wenn ein solcher Tod öffentlich genug gewesen wäre. Er nahm an Kleidung und Gold, was er brauchte, trat dann an die Wand mit den Waffen, um sich ein Schwert auszusuchen, und - hielt plötzlich inne.
»Du Bastard«, sagte er.
An der Wand hing, unmöglicherweise und als habe Kylar es nicht in einer einen zweiwöchigen Ritt entfernten Stadt für ein Vermögen verkauft, ein großes, schönes Schwert, in dessen Klinge das Wort Barmherzigkeit graviert war. Ohne weitere Erklärung, ohne Nachricht irgendeiner Art - bis auf das Grinsen, mit dem sein Meister Kylars Fallen wiederhergerichtet und das einzelne Haar zurück an seinen Platz gelegt hatte. Durzo hatte Kylars Geburtsrecht zurückgekauft. Zum zweiten Mal schenkte Durzo ihm Vergeltung.
30
Kylar stand in einem nebligen, mit leuchtend bunten Tieren geschmückten Flur vor einer Tür. Nichts hatte scharfe Kanten. Es war, als betrachte er die Welt mit vom Schlaf trüben Augen. Die Tür öffnete sich ohne eine Berührung, und sobald er sie sah, machte sein Herz einen Satz. Vi lag weinend auf einem schmalen Bett. Sie war das Einzige auf der Welt, was absolut klar, scharf und präsent war.
Sie hob bittend eine Hand, und er ging zu ihr. Seine Gegenwart schien sie ebenso wenig zu überraschen wie ihn selbst. Für einen Moment wunderte ihn das. Wo war er? Wie war er hierhergekommen?
Die Gedanken verschwanden, sobald er ihre Hand berührte. Dies war real. Ihre Hand war klein in seiner, zierlich und fein geformt, die Haut so schwielig wie seine eigene. Anders als bei Elene war Vis dritter Finger eine Spur länger als ihr Zeigefinger. Das war ihm noch nie zuvor aufgefallen.
Es war das Natürlichste auf der Welt, sich auf das Bett zu setzen und sie in die Arme zu ziehen. Sie lag auf seinem Schoß und klammerte sich an ihn, und plötzlich weinte sie heftiger und packte ihn krampfhaft. Er hielt sie fest und versuchte, ihr etwas von seiner Stärke einzuflößen. Er konnte spüren, dass sie es brauchte. Sie war verwirrt, verloren, voller Angst vor diesem neuen Leben, voller Angst, dass man sie kannte, voller Angst, dass man sie niemals kennen würde. Er brauchte ihre Miene nicht zu deuten, er spürte es in sich selbst.
Sie schaute ihm mit von Tränen geschwollenen Augen ins Gesicht, und er blickte in ihre tiefen, grünen Augen. Er war ein Spiegel für sie, und er spiegelte Wahrheit wider gegen jede Furcht.
Der Tränenstrom ließ nach, und sie entspannte ihren Griff. Dann schloss sie die Augen, als sei die Intimität zu viel für sie. Sie bettete den Kopf seufzend auf seinen Schoß. Ihr ungekämmtes, langes, feurig-rotes Haar fiel offen bis auf die Laken. Sein seidiger Glanz faszinierte ihn; es war von einer Farbe, die nur eine von tausend Frauen hatte. Sein Blick folgte einer Strähne ihres Haares vorbei an tränenfeuchten Wimpern zu einer Nase mit schwachen Sommersprossen, die er noch nie zuvor bemerkt hatte, bis zu ihrem schlanken Hals.
Vi trug ein schlecht sitzendes, schlichtes Nachtkleid. Es war zu kurz für sie, und ein Band hatte sich gelöst, so dass es offen stand. Ihre Brustwarze war dunkelrosa, klein auf ihrem vollen Busen, und leicht faltig in der Kühle des Raums. Als Kylar zum ersten Mal einen Blick auf Vis Brüste geworfen hatte, hatte sie sich entblößt, um ihn zu schockieren. Diesmal konnte er spüren, dass sie sich seines Blickes nicht bewusst war.
Die unerwartete Unschuld von Vis Entblößung erweckte in ihm einen Beschützerinstinkt. Er schluckte und bedeckte sie mit dem Laken. Obwohl Vi ihn so deutlich spüren konnte, wie er sie
spürte, bemerkte sie es nicht. War sie lediglich erschöpft, oder war sie so losgelöst von ihrem Körper, dass sie einer Bedeckung ihrer Brüste keinerlei Bedeutung beimaß? Kylar wusste es nicht, aber die Welle des Mitgefühls, das er verspürte, überwältigte sein Verlangen. Er warf kaum einen Blick auf ihre wohlgeformten Beine, nackt bis zum Schenkel, während er sie mit einer Decke bedeckte.
Sie vergrub sich in ihm, so verletzbar und so verdammt schön, dass er nicht mehr klar denken konnte.
Er ließ die Finger durch ihr Haar gleiten, um den beschützenden Instinkt
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