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Jenseits Der Unschuld

Jenseits Der Unschuld

Titel: Jenseits Der Unschuld
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ihre Stiefschwester. Sie hatte sie vom ersten Augenblick an ins Herz geschlossen, als sie sich kennenlernten, bald nach Jakes Verschwinden, als Suzanne Benjamin Ralstons Bekanntschaft machte. Kurz nach Jakes Tod, der ihn bei einem Fluchtversuch aus einem Londoner Gefängnis ereilte, hatte Suzanne Lisas Vater geheiratet. Die Freundschaft zwischen Sofie und der drei Jahre jüngeren Lisa hatte sich rasch zu einer innigen geschwisterlichen Liebe entwickelt. Lisa war überschäumend, großzügig, warmherzig; und sie war schön. Sofie hatte sie häufig gebeten, ihr Modell zu sitzen.
    Als Sofie sie nun beobachtete, musste sie eine grausame und hässliche Wahrheit erkennen. Sie war nicht nur neidisch auf Hilary, sie beneidete auch ihre eigene Schwester.
    Noch nie zuvor hatte Sofie ihr Gefühle des Neids entgegengebracht. Nun sah sie, mit welcher Leichtigkeit Lisa mit Edward Delanza flirtete, der zweifellos von ihrem Charme und ihrer Schönheit beeindruckt war.
    Ach, könnte sie sich nur auch so graziös bewegen wie Lisa. Sofie sehnte sich danach, am Arm eines gutaussehenden Mannes durch, den Salon zu schlendern. Sie sehnte sich danach, reizvoll und anmutig zu sein, das Leben unbeschwert zu genießen. Sie sehnte sich danach, leichtfüßig auf Edward Delanza zuzugehen, ohne unbeholfen zu hinken, ohne sich linkisch, absonderlich, mitleiderregend zu fühlen.
    Sie ertrug es nicht länger. Der ganze Tag war nervenaufreibend gewesen, und nun reichte es ihr. Ihre Eifersucht auf Lisa war unerträglich, ihre Tagträume waren gefährlich. Mit einem Ruck stand Sofie auf. Dabei durchzuckte sie ein jäher Schmerz; sie konnte den Schrei nicht unterdrücken.
    Die nahe stehenden Gäste drehten erschrocken die Köpfe, um hastig und verlegen wieder wegzuschauen. Bis auf Edward Delanza, der bei Sofies Aufschrei gleichfalls herumgefahren war. Er stand in der entfernten Ecke des Raumes und eilte mit besorgtem Gesicht auf sie zu.
    Sofie floh. Ihr Humpeln war schlimmer denn je, als sie aus dem Zimmer stürmte.
    Auf der Veranda ließ sie sich in den großen Rattansessel unter der Königspalme fallen und kämpfte mit den Tränen. Er hatte es gesehen. Nun hatte Edward Delanza endlich ihr schreckliches Hinken bemerkt.
    Sofie schloss die Augen und schluckte heftig gegen die aufsteigenden Tränen an. Sie war weit mehr als nur gekränkt und unglücklich. Sie war im Begriff, sich in einen Fremden zu verlieben, und das war nicht nur absurd und lächerlich, es war unendlich gefährlich.
    Sofie beugte sich vor, um ihren Fuß zu massieren, kämpfte verbissen darum, nicht völlig die Fassung zu verlieren.
    Was dachte Edward Delanza nun von ihr, jetzt, da er die Wahrheit kannte?
    Wenn dieser Tag nur anders verlaufen wäre! Es gab Tage, an denen ihr Hinken kaum zu sehen war, aber sie hatte ihren Fuß völlig überanstrengt, und das war die Quittung dafür. Sie war zu jäh aufgesprungen, zu unbedacht. In ein paar Tagen würde ihr Knöchel wieder in Ordnung sein, wenn sie sich genügend Ruhe gönnte. Sofie seufzte. Sie musste möglichst rasch wieder auf die Beine kommen, um in die Stadt zurückzukehren und an der Staffelei stehen zu können. Ihre Arbeit duldete keinen Aufschub. Edward Delanzas elegante, männliche Erscheinung beherrschte ihre Gedanken. Sie hatte die Komposition bereits vor Augen und wollte sich auch ohne die verlorengegangene, flüchtige Studie so rasch wie möglich ans Werk machen.
    »Geht es Ihnen gut, Miß O'Neil?«
    Sofie erschrak, als Edward Delanza aus der Dunkelheit auftauchte und vor ihrem Stuhl in die Knie ging.
    »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er mit ernstem, besorgtem Gesicht. Sie erschrak noch mehr, als sie spürte, dass er ihre Hände hielt.
    Er hatte nichts bemerkt. Er hatte immer noch nichts bemerkt. In seinem unverwandten Blick las sie weder Mitleid noch Abscheu. Und wie er vor ihr kniete, fühlte sie sich eine Sekunde lang wie eine begehrenswerte, schöne Märchenprinzessin, zu deren Rettung der Ritter in einer silbernen Rüstung herbeigeeilt war.
    Sofie gab sich innerlich einen Ruck. »Ich ... fürchte nein.« Sie drehte ihr Gesicht zur Seite, biss die Zähne aufeinander, um ihn nicht anzuschreien, er solle gehen. Seine Güte war ihr unerträglich, zumal sie wusste, dass sie sich in Kürze in hässliches Mitleid und noch hässlicheren Widerwillen verwandeln würde.
    »Sie haben sich weh getan«, sagte er mit dunkler, besorgter Stimme. »Haben Sie sich den Knöchel verstaucht? Wie wollen Sie die Treppe in Ihr Zimmer hochkommen?
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