Jenseits Der Unschuld
durch die Sanddünen unter blauem Himmel. Die Hände in den Taschen seiner hellen Hose vergraben, das weiße Leinenjackett offen, die Krawatte schief, blickte er halb über die Schulter auf die Betrachterin. Im Gegensatz zu dem düster gehaltenen Genrebild der beiden Arbeiterfrauen hatte sie eine helle Farbpalette gewählt, in der Lavendel und blasses Gelb vorherrschten. Auch in diesem Bild hatte sie den Hintergrund unscharf und verwaschen gelassen; umso detailgetreuer war Edwards Gestalt ausgeführt, sein Gesicht verblüffend lebensnah.
Sofie zog die Knie an und betrachtete ihr Werk. Edward strahlte lässige Eleganz, männliches Selbstvertrauen, Unbekümmertheit und Sinnlichkeit aus. Sie hatte ihn perfekt getroffen; und sie wusste es.
In seinem auf die Betrachterin gerichteten Blick lag ein rätselhaftes Versprechen. Wie sehr wünschte sie, dieses Rätsel zu lösen. Nie hatte seine Anziehungskraft stärker, unwiderstehlicher auf sie gewirkt.
Sofie seufzte laut und stoßweise'. Sie musste verrückt sein, sich solchen Gedanken hinzugeben. Alles, was Edward ihr oder jeder anderen Frau versprechen könnte, war der völlige Ruin, nicht mehr und nicht weniger. Doch Sofie erbebte bei der Vorstellung, wie wunderbar erregend ihr Sündenfall mit ihm sein würde.
Sie dachte daran, wie lüstern er Hilary geküsst hatte, heiß und leidenschaftlich mit offenem Mund. Hitze stieg ihr in die Wangen bei dem Gedanken, wie er Hilary genommen hatte, und sie konnte ihre Gedanken genauso wenig von der Liebesszene trennen, wie sie sich daran hindern konnte, sein Bild zu malen. Wenn sie nur vergessen könnte, was sie an jenem Tag am Strand beobachtet hatte.
Wenn sie nur die Berührung seines Mundes auf ihrem vergessen könnte, seine harte Männlichkeit, die sich an sie gepresst und sie durch den Stoff ihrer Röcke versengt hatte.
Sofie schlang die Arme um die Knie. Obwohl sie völlig erschöpft war von der mit Malen zugebrachten Nacht, hätte sie nicht an Schlaf denken können. Jeder Nerv in ihrem Körper bebte kribbelnd in einer nie gekannten Spannung.
Und sie wusste, dass sinnliches Verlangen in ihr aufgekeimt war, ein Verlangen, das nie gestillt werden würde.
Gütiger Himmel! Sofie war den Tränen nahe. Warum war sie in diese entsetzliche Situation geraten? Noch vor kurzem hatte sie keinen Gedanken an einen Mann, an sinnliche Leidenschaft, an eine Welt, die außerhalb ihrer Arbeit existierte, verschwendet. Bis vor kurzem hatte sie nicht gewusst, dass es Edward Delanza gab. Gestern jedoch hatte er sie geküsst. Deshalb war sie die ganze Nacht wach geblieben, um ihn zu malen. Und Sofie wusste, dass dieses Bild nur eines von vielen sein würde.
Sie dachte an seine Bemerkung, dass sie Freunde seien. Sie war nicht so naiv, um nicht zu wissen, dass Männer gelegentlich ihre Geliebten als Freundinnen bezeichneten. Zudem hatte er sie geküsst. Hatte Suzanne recht? Ließ er ihr keine Ruhe, weil er sie verführen, sie zu seiner Geliebten machen wollte?
Sofie schloss die brennenden Augen. Die Frage, die sie die ganze Nacht vermieden hatte, drängte sich ihr nun auf.
Sollte er die Absicht haben, sie zu seiner Geliebten zu machen, würde sie es wagen, diesen Schritt zu tun?
Sofie saß mit Mrs. Guttenberg auf dem schmalen Vorplatz des Mietshauses. Der Rücken tat ihr weh, und die Augen brannten; sie war zu müde, um heute noch zu arbeiten. Sie hatte überhaupt nicht geschlafen. Nachdem sie Edwards Bild im Morgengrauen vollendet hatte, war sie so überdreht, dass sie beschloss, in die 3. Avenue zu fahren und an ihrem Genrebild weiter zu malen - sehr zu Billings Missfallen. Doch es blieb ihr nur noch eine Woche, um das Bild fertigzustellen, bevor ihre Familie aus Newport zurückkam. Die Uhr tickte.
Sofie richtete sich auf. Sie hörte das Knattern des Motors, das Quietschen der Reifen. Und dann sah sie ihn. Um die Kurve brauste ein glänzendes, schwarzes Automobil. Der Mann am Lenkrad hupte anhaltend, und Fußgänger ergriffen die Flucht vor dem verrückten Fahrer. Pferde wichen erschrocken zur Seite. Dann quietschten Bremsen; das Automobil hielt knapp hinter Sofies Kutsche mit den Vorderreifen auf dem Gehsteig.
Sofie rührte sich nicht, als Edward aus dem Wagen sprang, ohne die Tür zu öffnen. Er war nicht zum Autofahren angezogen, trug weder Staubmantel noch Mütze, noch Schutzbrille. Als er Sofie auf dem schmalen Vorplatz sitzen sah, verharrte er kurz, seine Miene war ernst und streng. Dann trat er auf sie zu. »Ich fasse es nicht,
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