Jenseits Der Unschuld
und der unnachahmliche Gustave Courbet gewirkt und ums Überleben gekämpft. Vielleicht würde ihr eines Tages ein berühmter Maler wie Edgar Degas oder Paul Cezanne über den Weg laufen, oder die berühmte Amerikanerin Mary Cassatt, die sie bewunderte.
»Mrs. Crandal«, entgegnete Sofie nun sehr bestimmt. »Dies ist ein Künstlerviertel, und ich besuche meinen Freund Paul Verault. Wenn Sie Bedenken haben, bleiben Sie getrost in der Kutsche.«
Mrs. Crandals Lippen wurden schmal. »Ich werde Ihrer Mutter darüber Bericht erstatten«, versetzte sie pikiert, Sofie schwieg. Sie wollte ihrer Mutter keine Sorgen bereiten, weigerte sich aber auch, sich törichte Vorschriften machen lassen.
Die Kutsche hielt an. »Voila. Rue des Abbesses 13.«
Beim Aussteigen wäre Sofie in ihrem Eifer beinahe gestolpert. Während der Kutscher das Gepäck entlud, suchte sie in ihrer Börse nach dem nötigen Kleingeld, um ihn zu bezahlen. Der junge Mann lächelte charmant, dann beugte er sich vor. »Falls Sie sich einsam fühlen, ma chere, ich heiße Pierre Rochefort. Sie finden mich im Cafe en Gris im Quartier Latin.« Dann schwang er sich auf den Kutschbock, und Sofie starrte ihm verdutzt nach.
Was mochte den frechen Kerl zu dieser Bemerkung verleitet haben? fragte sie sich halb belustigt.
»Lauter Taugenichtse, die ganze Franzosenbande!« schimpfte Mrs. Crandal entrüstet. »Wie konnte/Ihre Mutter nur die Zustimmung zu dieser Reise geben!«
Sofie beachtete die prüde Person nicht weiter und blickte die Sandsteinfassade des Hauses Nummer 13 hoch. Ihr wurde bang ums Herz. Da stand sie nun in der engen Straße eines zwielichtigen Viertels in dieser fremden Stadt, nur mit Mrs. Crandal zu ihrem Schutz, allein und schwanger. Verault hatte New York verlassen, weil seine Frau krank war. Vielleicht kam sie zu einem ungelegenen Zeitpunkt.
Stimmen wurden laut. Sofie wandte den Kopf. Drei Männer schlenderten in ihre Richtung, augenscheinlich in eine hitzige Debatte vertieft. Sofie blickte wieder die Fassade des dreistöckigen Hauses hinauf. Ewig konnte sie nicht auf der Straße stehenbleiben; schlimmstenfalls würde Paul sie bitten, ein anderes Mal wiederzukommen.
Sie hörte einen der Männer sagen: »Aber mon ami, seine Farbgebung ist nicht plastisch genug. Er beschränkt sich auf das Hervorheben von Kontrasten, hat aber keine Ahnung von Formgebung! Im Gegensatz zu dir, mein Lieber.«
Sofie fuhr herum, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die jungen Männer debattierten über Malerei!
»Wie kannst du nur so daherreden? Er ist ein Meister der Formgebung, beschränkt sich dabei aber auf das Wesentliche, cher Georges«, entgegnete ein südländischer Typ hitzig.
Sofie hätte zu gerne gewusst, über wen die jungen Männer sich ereiferten. Plötzlich begegnete ihr Blick dem des ersten Sprechers, Georges, der nun stehenblieb. »Ah, petite mademoiselle, haben Sie sich verirrt? Kann ich Ihnen helfen?«
Sein Lächeln war offen und charmant, seine Augen leuchteten blau. Mit seinen dunklen Haaren erinnerte er Sofie schmerzlich an Edward. Ehe sie antworten konnte, hatte Mrs. Crandal sich zwischen ihre Schutzbefohlene und die jungen Leute gedrängt. »Danke, wir kommen ohne Ihre Hilfe zurecht, junger Mann! «
Die drei Burschen warfen einander belustigte Blicke zu. »Pardonnez-moi.« Georges verbeugte sich und zwinkerte Sofie belustigt zu.
Eine Welle der Trauer schwappte über sie hinweg. Er war nicht Edward. Er war Franzose und mit der Welt der Künstler vertraut, eine Welt, zu der sie Eingang finden wollte. »Ich ... ich suche Monsieur Verault«, brachte sie heraus und schob sich an der erzürnten Mrs. Crandal vorbei.
Die Augen des jungen Franzosen wurden groß. »Der alte Verault? Vraiment?«
Sofie nickte. »Paul Verault war in New York mein Lehrer. «
»Aha ... la belle amdricaine est une artiste!«
»Oui, bien sür«, flüsterte sie, während Mrs. Crandal sie energisch am Ärmel zupfte.
Georges wölbte die Hände um den Mund und schrie zu einem Fenster hinauf. »Monsieur Verault, Monsieur Verault! Kommen Sie herunter! Sie haben reizenden Besuch! «
Sofie erbleichte. Doch plötzlich hörte sie Veraults Stimme von oben: »Sofie?!«
Sie riss den Kopf hoch. Paul schaute aus einem offenen Fenster im ersten Stock herunter. »Sofie! «
Dann verschwand sein Gesicht wieder. Sofie verschränkte verzweifelt die Hände. »Gütiger Himmel«, flüsterte sie beinahe verzweifelt.
»Oh, ma pauvrei Weiß er nichts von Ihrem Kommen?« grinste Georges
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