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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Favel Parrett
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die weit über die dunklen Täler hinausragten, so vollkommen. Sie würden nie wieder auf diese Weise nachwachsen. Nicht einmal in einer Million Jahren.
    »Hast du ein besonderes Stück im Auge?«, fragte Großvater.
    Miles nickte, ohne darauf zu zeigen. Er würde sich das für später aufheben, wusste aber, dass Großvater überrascht wäre, weil es nur ein kleines Stück war und nicht King Billy. Es war ein weiches Stück Tasmanische Blatteibe mit kräftiger, klarer Maserung, er sah es bereits glänzen. Sah, was daraus werden konnte, wie er es auf der Drehbank gestalten würde. Es wäre für Joe. Für das Boot, das Joe baute. Es sollte ihm Glück bringen.
     
    Miles hörte Joes Transporter in die Einfahrt biegen und legte das alte Stück King-Billy-Holz, das er noch in der Hand hielt, zurück auf den Stapel. Er ging nach draußen.
    Er winkte Joe zu und dachte, dass der, der das Haus kaufte, wahrscheinlich annahm, es wäre alles bloß Feuerholz.

M iles sah zu, wie Joe riesige Bögen auf die blaugrünen Brecher zeichnete. Joe war verrückt, er zog in einem solchen Tempo dahin, dass er flog. Aber Miles konnte sich nicht rühren. Er stand reglos oben auf der Klippe, er atmete kaum und sah nach unten in das schäumende, aufgewühlte Wasser. Es war bescheuert, dass Joe ihn hierhergebracht hatte. Southport Bluff war steinig und kabbelig, eine steile, wuchtige Wassermasse, die über dem schwarzen Riff in die Höhe schlug. Die Leute nannten es den Knochengarten, vielleicht weil es so viele alte Schiffswracks hier gab oder weil das Riff einem die Knochen brechen konnte. Miles wusste es nicht. Aber er hatte gesehen, wie es Joe hier einmal beinahe zerlegt hatte; dickes weißes Wasser war über ihm zusammengeschlagen und hatte ihn zurück über das Riff geschleift, sodass die Haut an Händen und Füßen aufgerissen war. Und Joe war viel größer als er.
    Er war nur ein Kind. Ein Baby. Er war nichts.
    Das Licht wurde schon schwächer. Bald wäre es zu spät. Joe würde weggehen. Ging fort. Und einmal hatte Joe ihn angeschrien, hatte gesagt, dass Miles nie von hier loskäme, wenn er so weitermachte. Weitermachte mit seiner Arbeit für Dad, weitermachte mit seiner Verantwortung für Harry, mit seiner Verantwortung für einfach alles. Er hatte gesagt, dass Miles immer vor den falschen Sachen Angst hatte.
    »Jede Faser in deinem Innern schreit doch, Miles. Da wett ich drauf.«
    Und so war es. Miles spürte es. Die Kiefer zusammengepresst, die Fäuste geballt, so stand er da in seinem Neoprenanzug und mit dem Surfbrett unter dem Arm. Stand da, als wäre er schon tot.
    Aber dann bewegte er sich. Er fing an zu rennen, schlitterte blindlings den steilen, felsigen Pfad hinunter. Er konnte nicht anhalten, er hatte zu große Angst davor, anzuhalten. Unten angekommen, wählte er den Weg am freiliegenden Riff entlang, bis das kalte Wasser an seine Füße schlug. Ohne nachzudenken, stürzte er sich über den Rand der Welt. Atemlos. Er paddelte, gab alles. Joe johlte und klatschte, und das verlieh Miles die Kraft, noch schneller zu paddeln. Er fühlte, wie die Brecher unter ihm aufschlugen, ihn anhoben, als wäre er nur ein Blatt, ein Stück Seetang. Aber er hatte keine Angst mehr. Nicht davor.
    Es war einfach.
    Es war das, was er brauchte.
    Dieses Auf und Ab, den Atem des Meeres, und jemanden da draußen, der dasselbe spürte. Joe verstand ihn. Er lebte dafür, für diese Augenblicke, wenn alles stillstand außer dem eigenen Herz und die Zeit sich ausdehnte und wogte – sich Bild für Bild vor das innere Auge schob und man jenseits der Zeit und vor der Zeit war und einem niemand etwas anhaben konnte.
    Als Miles den zentralen Break erreichte, war er größer und dicker, als es von der Klippe aus den Anschein gehabt hatte. Der Wellenrücken war fast genauso steil wie die vordere Wellenwand, sodass der höchste und der tiefste Punkt meterweit auseinanderlagen. Aber Miles ließ Joe nicht aus den Augen, fixierte ihn.
    Dieser nächste Brecher.
    Seiner.
    Die Welle würde ihn nehmen, ob er wollte oder nicht. Er drehte sich um. Er wartete auf das Gefühl, das entstand, wenn das Ende des Bretts angehoben wurde, auf den Moment, in dem man erfasst wurde. Und sein Körper wusste, wie. Er wusste, was er zu tun hatte, wann er sich hineinlegen und wann er sich zurückbeugen musste. Das Gefälle, das so schnell ausrollte.
    Sein Kopf wurde leicht. Er konnte jetzt alles genau vor sich sehen, die Kämme und Bögen, die Farbe des Wassers und wie es sich im

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