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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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lebend aus dieser Falle entkam. Die Frau in Illinois, der einarmige Mann in Kentucky, die Liebkosungen der Küchenschaben. Die Erinnerungen trugen mit dazu bei, daß Kissoon keinen Einfluß über ihn bekam. Er griff hinter sich nach der Türklinke.
    »Nicht aufmachen«, sagte Kissoon.
    »Ich verschwinde von hier.«
    »Ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid. Ich habe dich unterschätzt. Wir können uns doch sicherlich einigen? Ich werde dir alles erzählen, was du wissen mußt. Ich werde dir die
    ›Kunst‹ beibringen. Ich selbst besitze die Fähigkeit nicht. Nicht in der Schleife. Aber du könntest sie haben. Du könntest sie mitnehmen. Dort hinaus. In die Welt zurück. Arm im Kuchen!
    Nur bleib. Bleib, Jaffe. Ich war so lange alleine hier. Ich brauche Gesellschaft. Jemanden, dem ich alles erklären kann.
    Mit dem ich es teilen kann.«
    Jaffe drückte die Klinke. Als er das tat, spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen bebte, und einen Augenblick schien jenseits der Tür blendende Helligkeit zu herrschen. Sie schien zu grell für bloßes Tageslicht, aber genau das mußte sie gewesen sein, denn nur die Sonne erwartete ihn, als er nach draußen trat.
    »Verlaß mich nicht!« hörte er Kissoon schreien, und mit diesem Schrei spürte er, wie der Mann nach seinen Eingeweiden griff, wie er ihn hergezogen hatte. Doch der Zugriff war längst nicht mehr so stark wie zuvor. Entweder hatte Kissoon zuviel Energie beim Versuch vergeudet, seine Seele in Jaffe zu hauchen, oder seine Wut schwächte ihn. Was auch immer, der Zugriff war überwindbar, und je weiter Jaffe lief, desto schwächer wurde er.
    Hundert Meter von der Hütte entfernt sah er hinter sich und glaubte, einen Flecken Dunkelheit zu erkennen, der sich am Boden entlang auf ihn zu bewegte, gleich einem Seil, das 38
    aufgerollt wurde. Er verweilte nicht, um herauszufinden, was der alte Dreckskerl für einen neuen Trick auf Lager hatte, sondern lief immer weiter, seiner eigenen Spur am Boden nach, bis der Stahlturm zu sehen war. Er kündete von einem Versuch, diese Einöde zu bevölkern, der längst aufgegeben worden war.
    Weiter entfernt fand er, eine Stunde voller Schmerzen später, neuerliche Beweise für dieses Vorhaben. Die Stadt, durch die er auf dem Weg hierher gestolpert war, wie er sich vage erinnern konnte, deren Straßen nicht nur ohne alle Menschen oder Fahrzeuge waren, sondern die überhaupt keinerlei herausragende Merkmale aufwiesen, wie eine Filmkulisse, die noch für die Dreharbeiten dekoriert werden mußte.
    Eine halbe Meile weiter deuteten Turbulenzen in der Atmosphäre darauf hin, daß er den Rand der Schleife erreicht hatte.
    Er stürzte sich nur zu bereitwillig in ihre Verwirrungen und kam durch eine Region übelkeiterregender Desorientierung, in der er sich nicht sicher war, ob er überhaupt ging. Plötzlich war er auf der anderen Seite draußen und wieder in einer stillen, sternenklaren Nacht.
    Achtundvierzig Stunden später, als er betrunken in einer Gasse in Santa Fe lag, traf er zwei spontane Entscheidungen.
    Erstens, daß er den Bart behalten würde, der ihm in den vergangenen Wochen gewachsen war, und zwar als Erinnerung an seine Suche. Zweitens, daß er sein ganzes Streben, jegliches Wissen über das okkulte Leben Amerikas, das er erlangt hatte, jedes Jota der Macht, das ihm seine Astralaugen verliehen, dem Bemühen widmen würde, die ›Kunst‹ zu erlangen - Scheiß auf Kissoon; scheiß auf den Schwarm -, und daß er sein Gesicht erst, wenn er sie erlangt hatte, wieder unrasiert zeigen würde.
    39
    IV

    Es fiel ihm nicht leicht, das Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte, einzuhalten. Bot ihm doch die Macht, die er erlangt hatte, so viele einfache Freuden; Freuden, auf die er jahrelang verzichtet hatte, weil er fürchtete, sein bißchen Macht zu verlieren, bevor er größere erlangt hatte.
    Sein oberstes Ziel war, einen anderen Suchenden zu finden; jemand, der ihn bei seiner Suche unterstützen konnte. Es dauerte zwei Monate, bis seine Ermittlungen Name und Ruf eines Mannes zutage förderten, der perfekt für diese Rolle geeignet war. Dieser Mann war Richard Wesley Fletcher, der -
    bis er vor kurzem in Ungnade gefallen war - einer der gefeiertsten und revolutionärsten Köpfe auf dem Gebiet der Evolutionsforschung gewesen war; Leiter mehrerer
    Forschungsprogramme in Boston und Washington; ein
    Theoretiker, dessen Bemerkungen - jede einzelne - von seinen Anhängern nach Hinweisen auf seinen nächsten Durchbruch hin

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