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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Bestien, die er geschaffen hatte.
    Eve hatte sie auch gesehen.
    »Mein Gott...«, murmelte sie. »Mein Gott, mein Gott, was geht hier vor?«
    »Freunde von Freunden«, sagte Lamar.
    »Tun Sie ihr nicht weh«, forderte Grillo.
    »Ich bin kein Mörder«, sagte die Stimme von Randolph
    Jaffe. »Alle, die hier hereingekommen sind, sind lebend wieder hinausgegangen. Ich will nur einen kleinen Teil von Ihnen...«
    Seine Stimme klang nicht mehr so überzeugend wie damals, 545
    als Grillo ihn im Einkaufszentrum gehört hatte. Grillo hatte sein ganzes Berufsleben lang Menschen zugehört und nach Spuren von Leben unter dem Leben gesucht. Wie hatte es Tesla ausgedrückt? Etwa so, daß er ein Auge für verborgene Zusammenhänge hatte. Die Stimme des Jaff hatte inzwischen eindeutig einen Subtext. Eine Zweideutigkeit, die vorher nicht dagewesen war. Ließ das auf ein Entkommen hoffen? Oder wenigstens auf eine Verschiebung der Hinrichtung?
    »Ich erinnere mich an Sie«, sagte Grillo. Er mußte den Mann aus der Reserve locken, Subtext zu Text machen. Ihn seine Zweifel aussprechen lassen. »Ich habe gesehen, wie Sie Feuer gefangen haben.«
    »Nein...«, sagte die Stimme in der Dunkelheit, »das war ich nicht...«
    »Mein Fehler. Und wer... wenn ich fragen darf...?«
    »Nein, das dürfen Sie nicht«, sagte Lamar hinter ihnen.
    »Welchen der beiden möchtest du zuerst?« fragte er den Jaff.
    Die Frage wurde nicht beachtet. Statt dessen sagte der Mann:
    »Wer ich bin? Seltsam, daß Sie das fragen.« Seine Stimme klang beinahe verträumt.
    »Bitte«, murmelte Eve. »Ich kann hier oben nicht atmen.«
    »Psst«, sagte Lamar. Er ging auf sie zu, um sie festzuhalten.
    Im Schatten bewegte sich der Jaff auf dem Stuhl wie ein Mann, der keine behagliche Sitzposition finden kann.
    »Niemand weiß...«, begann er, »... wie schrecklich es ist.«
    »Was denn?« fragte Grillo.
    »Ich besitze die ›Kunst‹«, antwortete der Jaff. »Ich besitze die ›Kunst‹. Also muß ich sie benützen. Nach dem langen Warten und der Veränderung wäre es eine Verschwendung, es nicht zu tun.«
    Er scheißt sich fast in die Hose, dachte Grillo. Er steht am Abgrund und hat schreckliche Angst hinunterzurutschen. In was hinein, das wußte er nicht, aber er war in einem Zustand, aus dem Grillo Kapital schlagen konnte. Er beschloß
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    stehenzubleiben, wo er für den anderen Mann keine
    körperliche Bedrohung war. Er sagte ganz langsam: »Die
    ›Kunst‹. Was ist das?«
    Falls der Jaff seine nächsten Worte als Antwort gedacht hatte, so war sie unverständlich.
    »Alle sind verloren, wissen Sie. Das mache ich mir zunutze.
    Ich benütze die Angst in ihnen.«
    »Sie nicht?« sagte Grillo.
    »Ich nicht?«
    »Verloren.«
    »Ich dachte, ich hätte die ›Kunst‹ gefunden... aber vielleicht hat die ›Kunst‹ mich gefunden.«
    »Das ist gut.«
    »Wirklich?« sagte er. »Ich weiß nicht, was sie machen wird...«
    Das ist es also, dachte Grillo. Er hat seinen Preis bekommen, und jetzt hat er Angst davor, ihn auszupacken.
    »Sie könnte uns alle vernichten.«
    »Das hast du nicht gesagt«, murmelte Lamar. »Du hast
    gesagt, wir würden Träume haben. Alle Träume, die Amerika jemals geträumt hat; die die Welt jemals geträumt hat.«
    »Vielleicht«, sagte der Jaff.
    Lamar ließ Eve los und kam einen Schritt auf seinen Herrn und Meister zu.
    »Und jetzt sagst du, die Welt könnte sterben?« sagte er. »Ich will nicht sterben. Ich will Rochelle. Ich will das Haus. Ich habe eine Zukunft. Die gebe ich nicht auf.«
    »Komm mir nicht mit Drohungen«, sagte der Jaff. Zum
    ersten Mal, seit der Wortwechsel angefangen hatte, hörte Grillo ein Echo des Mannes, den er im Einkaufszentrum gesehen hatte. Lamars Widerstand brachte den alten Kampfgeist zurück. Grillo verfluchte ihn für seine Rebellion. Sie trug nur eine nützliche Frucht: Eve konnte in Richtung Tür
    zurückweichen. Grillo wich nicht von der Stelle. Der Versuch, 547
    mit ihr zu gehen, würde nur die Aufmerksamkeit auf beide lenken und die Möglichkeit zu entkommen für jeden zunichte machen. Wenn sie hinausgelangte, konnte sie Alarm schlagen.
    Derweil hatten sich Lamas Beschwerden vervielfacht.
    »Warum hast du mich angelogen?« sagte er. »Ich hätte von Anfang an wissen müssen, daß du mir nichts Gutes bringst. Na gut, der Teufel soll dich holen...«
    Grillo feuerte ihn stumm an. Die zunehmende Dämmerung hatte mit den Bemühungen seiner Augen Schritt gehalten, sie zu durchdringen; er konnte von ihrem Entführer

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