Jenseits des Bösen
letzten Konfrontation mit dem Jaff waren auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Er sah verbraucht aus, fast wie ein Gerippe. Er kam herunter, durch den Lichtschein der
Scheinwerfer draußen, deren Buntheit über seine blassen Züge glitt. Der heutige Film war Die Maske des roten Todes, dachte Grillo; und Der Jaff war der Name, der über dem Titel stand.
Die Terata in den Nebenrollen folgten, sie zwängten ihre Leiber durch die Tür und schlurften ihrem Schöpfer hinterher die Treppe hinunter.
Grillo betrachtete die stumme Versammlung. Sie sahen den Jaff immer noch mit ihren kriecherischen Augen an. Er ging weiter, die zweite Treppenflucht herunter. Unten wartete eine zweite Gruppe, darunter auch Rochelle. Der Anblick dieser au-
ßergewöhnlichen Schönheit erinnerte Grillo kurz an ihre erste Begegnung, als sie die Treppe heruntergekommen war, so wie der Jaff jetzt. Es war eine Offenbarung gewesen, sie zu sehen.
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Mit dieser Schönheit hatte sie unberührbar gewirkt. Er hatte etwas anderes erfahren. Zuerst durch Ellens Schilderung über Rochelles früheren Beruf und ihre heutige Sucht; und jetzt mit eigenen Augen, mußte er doch miterleben, daß die Frau der Verderbtheit des Jaff ebenso anheimgefallen war wie die anderen Opfer auch. Schönheit war kein Schutz,
Höchstwahrscheinlich gab es keinen Schutz. Er ging die Treppe ganz hinunter und wartete, daß der Jaff seinen Abstieg beendete und seine Legionen ihm folgten. In der kurzen Zeit, seit er auf der Treppe erschienen war, war eine Veränderung mit ihm vorgegangen - subtil, aber entnervend. Sein Gesicht, das Spuren von Reue gezeigt hatte, war jetzt so leer wie die Gesichter seiner Gemeinde, die Muskeln so völlig bar jeglichen Spiels, daß sein Herabschreiten kaum mehr als ein
kontrollierter, gehender Sturz war. Sämtliche Kräfte seiner Macht waren in die linke Hand gewichen, die Hand, aus der -
im Einkaufszentrum - die Energiesplitter geblutet hatten, welche Fletcher beinahe vernichteten. Jetzt geschah dasselbe; Perlen leuchtender Fäulnis troffen wie Schweiß von der herabhängenden Hand. Sie konnten nicht die Macht selbst sein, überlegte Grillo, lediglich deren Nebenprodukt, denn der Jaff unternahm keinen Versuch zu verhindern, daß sie auf den Stufen zu kleinen, dunklen Blumen zerplatzten.
Die Hand lud sich auf und sammelte Energie aus jedem
anderen Körperteil ihres Besitzers - möglicherweise, wer konnte das wissen, aus der Versammlung selbst -, um ihre Kraft als Vorbereitung für kommende Aufgaben zu stärken.
Grillo versuchte, im Gesicht des Jaff nach Spuren zu suchen, was der Mann empfand, aber er mußte immer wieder zu der Hand zurücksehen, als würden sämtliche Kraftlinien dorthin führen und alle anderen Elemente der Szene nebensächlich machen.
Der Jaff ging weiter ins Wohnzimmer. Grillo folgte ihm. Die Schattenlegion blieb auf der Treppe.
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Das Wohnzimmer war noch weitgehend von herumliegenden Gästen bevölkert. Manche waren wie Jünger und ließen den Jaff nicht aus den Augen. Manche waren schlichtweg
besinnungslos und lagen, von Ausschweifung gezeichnet, auf den Möbeln. Auf dem Boden lag Sam Sagansky, dessen
Gesicht und Hemd blutig waren. Ein Stück von ihm entfernt lag ein anderer Mann, der Saganskys Jackett immer noch mit einer Hand umklammert hielt. Grillo hatte keine Ahnung, was die Ursache ihres Streits war, auf jeden Fall hatte er in beiderseitiger Bewußtlosigkeit geendet.
»Machen Sie das Licht an«, sagte der Jaff zu Grillo. Seine Stimme war so ausdruckslos, wie es sein Gesicht geworden war. »Machen Sie sie alle an. Keine Geheimnisse mehr. Ich will deutlich sehen.«
Grillo fand die Schalter im Halbdunkel und drückte auf alle.
Die Dramatik der Szene wurde unvermittelt zunichte
gemacht. Ein oder zwei Schläfer knurrten protestierend über das Licht und schlugen die Arme vor die Augen, damit sie es nicht mehr sehen mußten. Der Mann, der Saganskys Jackett umklammerte, schlug die Augen auf und stöhnte, bewegte sich aber nicht, da er die Gefahr zu spüren schien, in der er schwebte. Grillo sah wieder zur Hand des Jaff. Jetzt tropften keine Energieperlen mehr davon herunter. Sie war gereift. Sie war bereit.
»Sinnlos, noch zu zögern...«, hörte er den Jaff sagen und sah, wie dieser den linken Arm auf Augenhöhe hob und die Hand aufmachte. Dann ging er zur gegenüberliegenden Wand und preßte die Handfläche dagegen.
Und dann ballte er ganz langsam, ohne die Hand von der festen Oberfläche zu nehmen, die
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