Jenseits des Bösen
der Schaden war gering verglichen mit dem, den das Haus und seine Bewohnerin hinnehmen mußten. Als er zum Gehweg gestolpert war, in Sicherheit, drehte er sich um und sah, daß der Sturm wie eine entfesselte Geisterbahnfahrt zu jedem Fenster und jeder Tür heraus und wieder hinein sauste.
Das Bauwerk konnte dem Toben nicht standhalten. Risse zeigten sich in den Mauern, der Boden vor dem Haus tat sich auf, als die rasende Fahrt den Keller erreichte und dort ihre Verwüstungen anrichtete. Er sah zum Auto, weil er halb befürchtete, sie hätten auch das in ihrer Ungeduld vernichtet.
Aber es war unversehrt. Er floh dorthin, während das Haus zu knurren anfing, das Dach hochgedrückt wurde und die Wände sich nach außen wölbten. Selbst wenn Mama noch am Leben war und nach ihm rief, er konnte sie bei dem Lärm nicht hören 572
und in dem Trubel auch nicht sehen.
Er stieg schluchzend ins Auto ein. Er hatte Worte auf den Lippen, deren Sinn er erst erkannte, als er losfuhr:
»... ich bin die Auferstehung und das Leben...«
Er sah im Rückspiegel, wie das Haus endgültig aufgab und der Wirbel in seinem Inneren es nach außen schleuderte.
Backsteine, Ziegel, Balken und Mörtel flogen in alle
Richtungen.
»... wer an mich glaubt... mein Gott, Mama, Mama, ... wer an mich glaubt...«
Backsteintrümmer flogen gegen die Heckscheibe und zer-trümmerten sie, andere fielen wie in einem Trommelwirbel auf das Dach. Er trat mit dem Fuß aufs Gaspedal und fuhr drauflos, von Tränen des Kummers und der Angst halb geblendet. Er hatte einmal versucht, ihnen davonzufahren, und es war ihm nicht gelungen. Dennoch hoffte er, es könnte ihm beim zweiten Mal gelingen, daher raste er auf dem umständlichsten Weg durch die Stadt und hoffte, daß er sie abhängen würde. Die Straßen waren nicht völlig verlassen. Er fuhr an zwei Limousinen, schwarzen Schemen, vorbei, die wie Haie durch die Straßen zogen. Und an der Ecke Oakwood stolperte jemand auf die Straße, den er kannte. So sehr es ihm mißfiel, daß er anhalten mußte, er brauchte jetzt mehr denn je den Trost eines vertrauten Gesichts, selbst wenn es William Witt war. Er bremste.
»Witt?«
William brauchte eine Weile, bis er ihn erkannt hatte.
Tommy-Ray rechnete damit, daß er fliehen würde. Als sie einander zum letzten Mal begegnet waren, oben in dem Haus am Wild Cherry Glade, war Tommy-Ray im Pool gelandet und hatte mit dem Terata von Martine Nesbitt gekämpft, und Witt war um sein Leben gelaufen. Aber die dazwischenliegenden Ereignisse hatten von Witt ebensosehr ihren Tribut verlangt wie von Tommy-Ray. Er sah aus wie ein Penner, unrasiert, mit 573
schmutziger, unordentlicher Kleidung und einem
Gesichtsausdruck vollkommener Verzweiflung.
»Wo sind sie?« war seine erste Frage.
»Wer?« wollte Tommy-Ray wissen.
William streckte die Hand durchs Fenster und streichelte Tommy-Rays Gesicht. Seine Handfläche war klamm; sein
Atem roch nach Bourbon.
»Hast du sie?« fragte er.
»Wen?« wollte Tommy-Ray wissen.
»Meine... Besucher«, sagte William. »Meine... Träume.«
»Tut mir leid«, antwortete Tommy-Ray. »Möchten Sie mitfahren?«
»Wohin fährst du?«
»Weg von hier«, sagte Tommy-Ray.
»Ja, ich will mitfahren.«
Witt stieg ein. Als er die Tür zugeschlagen hatte, sah Tommy-Ray einen vertrauten Anblick im Rückspiegel. Der Sturm folgte ihnen. Tommy-Ray sah William an.
»Es nützt nichts«, sagte er.
»Was nützt nichts?« fragte Witt, der Tommy-Ray überhaupt nicht wahrzunehmen schien.
»Sie folgen mir, wohin ich auch gehe. Nichts kann sie aufhalten. Sie kommen immer wieder.«
William sah über die Schulter zu der Staubwolke, die sich auf der Straße dem Auto näherte.
»Ist das dein Vater?« fragte er. »Ist der irgendwo da drinnen?«
»Nein.«
»Was dann?«
»Etwas Schlimmeres.«
»Deine Mama...«, sagte Witt. »... ich habe mit ihr gesprochen. Sie sagte, er sei der Teufel.«
»Ich wünschte, er wäre der Teufel«, sagte Tommy-Ray.
»Dem Teufel kann man ein Schnippchen schlagen.«
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Der Sturm holte immer mehr auf.
»Ich muß wieder auf den Hügel«, sagte Tommy-Ray mehr
zu sich selbst als zu Witt.
Er riß das Lenkrad herum und fuhr in Richtung Windbluff.
»Sind dort die Träume?« fragte Witt.
»Dort ist alles«, antwortete Tommy-Ray und wußte nicht, wie sehr er die Wahrheit gesagt hatte.
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XI
»Die Party ist vorbei«, sagte der Jaff zu Grillo. »Es wird Zeit, daß wir nach unten gehen.«
Seit Eves panischem Abgang hatten sie kaum
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