Jenseits des Bösen
Richtung.
»Seht doch«, sagte sie.
Einen oder zwei Meter hinter der Polizeiabsperrung befand sich der lebende Beweis, daß der Jaff tatsächlich hier Zuflucht gesucht hatte. Ein Terata, das so schwach war, daß es die letzten paar Meter bis zur Sicherheit der Höhle nicht mehr zurücklegen konnte, lag in den letzten Zügen, und seine 624
Auflösung verströmte eine kränkliche Lumineszenz.
»Es wird uns nichts tun«, sagte Grillo und wollte schon die Deckung verlassen.
Tesla hielt ihn am Arm fest. »Es könnte den Jaff benachrich-tigen«, sagte sie. »Wir wissen nicht, was für einen Kontakt er zu den Biestern hat. Wir müssen nicht näher rangehen. Wir wissen, daß er da ist.«
»Stimmt.«
»Gehen wir Hotchkiss suchen.«
Sie traten den Rückweg an.
»Wissen Sie, wo er wohnt?« wandte sich Grillo an Witt, als sie ein gutes Stück von der Lichtung entfernt waren.
»Ich weiß von jedem, wo er wohnt«, antwortete Witt. »Oder gewohnt hat.«
Der Anblick der Höhle schien ihn erschüttert zu haben, was Grillos Verdacht erhärtete, daß sie trotz seiner Beteuerungen, wie selten er hierherkam, eine Art Pilgerstätte für ihn war.
»Bringen Sie Tesla zu Hotchkiss«, sagte Grillo. »Ich stoße dort wieder zu euch.«
»Wo gehst du hin?« wollte Tesla wissen.
»Ich will mich nur vergewissern, ob Ellen den Grove
verlassen hat.«
»Sie ist eine vernünftige Frau«, lautete die Antwort. »Ich bin ganz sicher, daß sie weg ist.«
»Ich sehe trotzdem nach«, sagte Grillo, der sich nicht davon abbringen lassen wollte.
Er trennte sich beim Auto von ihnen und stapfte in Richtung von Ellen Nguyens Haus davon; es blieb Tesla überlassen, Witt vom Anblick des Waldes loszureißen. Als Grillo um die Ecke bog, war ihr das immer noch nicht gelungen. Er sah zu den Bäumen, als würde die Lichtung ihn in eine gemeinsame Vergangenheit zurückrufen und er hatte größte Mühe, dem Lockruf zu widerstehen.
625
III
Nicht Howie kam Jo-Beth in ihrem unvergleichlichen
Entsetzen zu Hilfe, sondern die Flut, die sie ergriff und -
während sie meist die Augen geschlossen hatte, und wenn sie offen waren, dann tränenverschleiert - zu dem Ort trug, den sie nur allzu kurz erblickt hatte, als sie mit Howie in der Essenz schwamm: Ephemeris. Eine schwache Strömung begann in
dem Element, das sie trug, aber die bemerkte sie ebensowenig wie die Nähe der Insel. Andere waren nicht so ahnungslos.
Hätte sie mehr auf ihre Umgebung geachtet, wäre ihr eine subtile, aber unbestreitbare Aufregung unter den Seelen aufgefallen, die durch den Äther der Essenz schwebten. Ihre Bewegung war nicht mehr so konstant. Manche - die
möglicherweise empfindsamer für die Gerüchte waren, welche der Äther übermittelte - hielten inne und hingen wie ertrunkene Sterne in der Dunkelheit. Andere sanken tiefer und hofften, der Katastrophe zu entgehen, von der geflüstert wurde. Wieder andere, noch sehr wenige, verschwanden völlig, wachten in ihren Betten auf und waren froh, daß sie der Gefahr
entkommen waren. Aber für die meisten war die Botschaft so gedämpft, daß sie sie nicht hörten; und wenn sie sie hörten, war die Wonne, in der Essenz zu sein, größer als die Angst. Sie stiegen und sanken, stiegen und sanken, und ihr Weg führte sie in den häufigsten Fällen dorthin, wo auch Jo-Beth hintrieb: zu der Insel im Meer der Träume.
Ephemeris.
Der Name hallte in Howies Kopf, seit er ihn zum ersten Mal gehört hatte - von Fletcher.
Was ist auf Ephemeris? hatte er gefragt und sich dabei ein paradiesisches Eiland vorgestellt. Die Antwort seines Vaters war nicht besonders erleuchtend gewesen. Die große und geheime Show, hatte er gesagt, eine Antwort, die ein Dutzend 626
weitere Fragen nach sich zog. Als er die Insel nun vor sich auftauchen sah, wünschte er sich, er wäre der Frage
beharrlicher nachgegangen. Selbst auf große Entfernung war offensichtlich, daß seine Vorstellung von dem Ort deutlich an der Wirklichkeit vorbeiging. So wie die Essenz nicht im gewöhnlichen Sinne ein Meer war, so war auch für Ephemeris eine Neudefinition des Wortes Insel erforderlich. Zunächst einmal handelte es sich nicht um eine zusammenhängende Landmasse, sondern um viele, möglicherweise Hunderte
kleiner Inseln, die von Felsbrücken zusammengehalten
wurden; die ganze Struktur erinnerte an eine gewaltige schwebende Kathedrale, mit den Brücken als Strebepfeilern.
Die Türme der Insel wurden zur Landesmitte hin zunehmend größer; dort stiegen auch solide
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