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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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handelte, spielte keine Rolle. Wahrscheinlich war beides ohnehin ein und dasselbe. Entscheidend war das Heilige dieses Ortes. Er zweifelte keinen Augenblick daran, daß alles, was er über die Essenz und die Ephemeris erfahren hatte, der Wahrheit entsprach. Dies war der Ort, wo man alles schauen konnte, was seine Rasse vom Erhabenen wußte. Ein
    beständiger Ort; ein Platz des Trostes, wo der Körper vergessen war - abgesehen von Eindringlingen wie ihm selbst - und die träumende Seele das Fliegen und andere Geheimnisse erfahren konnte. Aber es gab subtile Anzeichen - manche so subtil, daß er sie nicht hätte bezeichnen können -, daß der Ort der Träume nicht sicher war. Die kleinen Wellen, die mit ihrer bläulichen Gischt ans Ufer schlugen, waren nicht mehr so rhythmisch wie zu Beginn, als er aus dem Meer gekommen war. Auch die 629
    Bewegungen der Lichter in der Essenz schienen sich verändert zu haben, als würde etwas, das darin passierte, das System stören. Er bezweifelte, daß das simple Eindringen von Fleisch und Blut aus dem Kosm der Grund dafür war. Die Essenz war riesig und konnte mit denjenigen fertig werden, die die Ruhe seiner Gewässer störten: Er hatte gesehen, wie dieser Prozeß vonstatten ging. Nein, was die Ausgeglichenheit störte, das mußte bedeutsamer sein als seine Anwesenheit oder die der anderen Eindringlinge von der anderen Seite. Er fand Spuren dieser Eindringlinge, die ans Ufer gespült worden waren. Ein Türrahmen, Bruchstücke zertrümmerter Möbel, Kissen und, unvermeidlich, Teile von Vance' Sammlung. Ein Stück von diesem erbärmlichen Sammelsurium entfernt, nach einer Biegung der Küste, kam die Hoffnung auf, die Flut könnte Jo-Beth angespült haben: eine weitere Überlebende. Sie stand am Ufer der Essenz und sah aufs Meer hinaus. Sie sah nicht in seine Richtung, auch wenn sie ihn gehört hatte. Ihre Haltung -
    Hände schlaff an den Seiten, Schultern eingesunken - und ihr starrer Blick deuteten auf eine Art Hypnose hin. So sehr er es verabscheute, sie aus ihrer Trance zu reißen, die sie gewählt haben mochte, um den Schock der Entwurzelung zu
    überwinden, er hatte keine andere Wahl.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er, obwohl er wußte, daß seine Höflichkeit unter diesen Umständen bemitleidenswert wirken mußte, »sind Sie die einzige hier?«
    Sie drehte sich zu ihm um, und da erlebte er eine zweite Überraschung. Er hatte ihr Gesicht schon hundertmal im Fernsehen gesehen, wo sie die Vorteile eines Haarshampoos anpries. Er kannte ihren Namen nicht. Sie war einfach nur die Silksheen-Frau. Sie sah ihn stirnrunzelnd an, als hätte sie Mühe, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren. Er versuchte es noch einmal, formulierte die Frage aber etwas anders.
    »Gibt es noch andere Überlebende?« sagte er. »Aus dem Haus?«
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    »Ja«, sagte sie.
    »Wo sind sie?«
    »Gehen Sie einfach weiter.«
    »Danke.«
    »Das passiert doch alles gar nicht, oder?« sagte sie.
    »Ich fürchte doch«, sagte er.
    »Was ist mit der Welt passiert? Haben sie die Bombe
    abgeworfen?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Die Welt ist irgendwo da hinten«, sagte er. »Jenseits der Essenz. Des Meeres.«
    »Oh«, sagte sie, aber es war deutlich, daß sie diese
    Information nicht ganz begriffen hatte. »Haben Sie Koks?«
    fragte sie. »Oder Tabletten? Irgend etwas.«
    »Leider nein.«
    Sie sah wieder über die Essenz hinaus und überließ es ihm, ihren Anweisungen zu folgen und am Strand entlangzugehen.
    Die Wellen schlugen mit jedem seiner Schritte heftiger ans Ufer. Entweder das, oder er wurde einfach empfänglicher dafür. Möglicherweise letzteres, denn er bemerkte noch andere Zeichen außer dem Rhythmus der Wellen. Eine Rastlosigkeit in der Luft um seinen Kopf herum, als würden Unsichtbare gerade außerhalb seiner Hörweite Unterhaltungen führen. Die Farbenwogen am Himmel lösten sich zu Flecken auf, die Fischgrätenwölkchen glichen, ihr ruhiges Flackern wich derselben Hektik, die auch die Essenz ergriffen hatte. Immer noch zogen Lichter in Richtung der Rauchsäule über ihm dahin, aber es wurden immer weniger. Die Träumenden
    wachten ganz eindeutig auf.
    Vor ihm wurde der Strand teilweise von einer Formation ket-tenförmiger Felsblöcke verdeckt, zwischen denen er hindurch-klettern mußte, ehe er seine Suche fortsetzen konnte. Aber die Silksheen-Frau hatte ihm einen guten Tip gegeben. Ein Stück 631
    weiter entfernt, hinter einer weiteren Biegung des Strands, fand er mehrere Überlebende, Männer und Frauen.

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