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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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sagen hörte, daß ihre Schönheit dahin war.
    »Sie sieht halbtot aus«, hörte er mit. »Tot und unter Drogen.«
    Danach war es, als würde Arleen Farrell gar nicht mehr existieren, außer als wunderschöne Vision, die am Ufer eines silbernen Sees ihre Kleider auszog. Daran, was dieser See aus ihr gemacht hatte, dachte er überhaupt nicht mehr.
    Unglücklicherweise konnten die Leiber der restlichen
    Mitglieder des Quartetts das Erlebnis und seine Folgen, die schon bald zur plärrenden Wirklichkeit wurden, nicht so einfach vergessen. Die zweite Phase der Demütigung von Palomo Grove begann am 2. April, als die erste des Bundes der Jungfrauen niederkam.

    Howard Ralph Katz wurde von seiner achtzehnjährigen Mutter Trudi um drei Uhr sechsundvierzig mittels Kaiserschnitt geboren. Er war schwächlich und wog lediglich vier Pfund und sechzig Gramm, als er das Licht des Operationssaals erblickte.
    Ein Kind, das, darin waren sich alle einig, der Mutter gleichsah, wofür die Großeltern pflichtschuldigst dankbar waren, hatten sie doch keine Ahnung, wer der Vater war.
    Howard hatte Trudis dunkle, tiefliegende Augen und schon bei der Geburt einen gezwirbelten braunen Haarschopf. Wie seine Mutter, die auch zu früh zur Welt gekommen war, mußte er in den ersten sechs Tagen seines Lebens um jeden Atemzug kämpfen, danach wurde er rasch kräftiger. Am 19. April 118
    brachte Trudi ihren Sohn nach Palomo Grove, um ihn in dem Ort großzuziehen, den sie am besten kannte.
    Zwei Tage nach der Entbindung von Howard Katz gebar die zweite aus dem Bund der Jungfrauen. Diesmal bekam die Presse mehr als nur die Geburt eines kränklichen Jungen. Joyce McGuire brachte Zwillinge zur Welt, die im Abstand von einer Minute ohne jegliche Komplikationen auf die Welt kamen. Sie nannte sie Jo-Beth und Tommy-Ray, Namen, die sie - obwohl sie das niemals zugegeben haben würde, nicht bis ans Ende ihres Lebens - auswählte, weil die Kinder zwei Väter hatten: einen in Randy Krentzman, einen im See. Drei, wenn sie den Vater im Himmel mitzählte, aber sie fürchtete, daß dieser sie schon längst zugunsten willfährigerer Seelen übergangen hatte.
    Eine Woche nach Geburt der McGuire-Zwillinge gebar auch Carolyn Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen, aber der Junge kam tot zur Welt. Das Mädchen, das schwer und kräftig war, bekam den Namen Linda. Mit ihrer Geburt schien die Legende vom Bund der Jungfrauen an ihrem logischen Ende angelangt zu sein. Die Beerdigung von Carolyns anderem Kind zog eine kleine Gruppe Neugieriger an, aber ansonsten ließ man die vier Familien in Ruhe. Sogar zu sehr in Ruhe. Freunde riefen nicht mehr an; Bekannte leugneten, daß sie sie überhaupt gekannt hatten. Die Geschichte vom Bund der Jungfrauen hatte den guten Namen von Palomo Grove beschmutzt, und obwohl der Skandal der Stadt einen Ruf verschafft hatte, herrschte mittlerweile der allgemeine Wunsch vor zu vergessen, daß der Zwischenfall je stattgefunden hatte.
    Da die Ablehnung, die sie von allen Seiten spürte, die Familie Katz schmerzlich berührte, trafen sie Vorbereitungen, den Grove zu verlassen und in Alan Katz' Heimatstadt Chicago zurückzukehren. Sie verkauften ihr Haus Ende Juni an einen Auswärtigen, der mit einem Schlag ein gutes Geschäft machte und obendrein ein wertvolles Grundstück und einen Ruf bekam. Zwei Wochen später war die Familie Katz
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    weggezogen.
    Diese Entscheidung erwies sich als klug. Hätten sie ihre Abreise nur noch ein paar Tage hinausgezogen, wären sie auch in die letzte Tragödie in der Geschichte des Bundes verwickelt worden. Am Abend des 26. machte die Familie Hotchkiss einen Ausflug und ließ Carolyn mit Tochter Linda zu Hause zurück. Sie blieben länger als erwartet weg, und als sie zurückkamen, war Mitternacht bereits vorbei, also schon der 27. Carolyn hatte den Jahrestag des Schwimmausflugs dadurch gefeiert, daß sie ihre Tochter erstickt und sich dann selbst das Leben genommen hatte. Sie hatte einen Abschiedsbrief
    hinterlassen, in dem mit derselben grausigen
    Teilnahmslosigkeit, mit der das Mädchen von dem San-
    Andreas-Graben gesprochen hatte, zu lesen stand, daß Arleen Farrells Geschichte wahr gewesen war. Sie waren schwimmen gegangen, sie waren angegriffen worden. Bis zum heutigen Tag wußte sie nicht, von was, aber sie hatte seither die Präsenz in sich selbst und ihrem Kind gespürt, und diese war böse.
    Darum hatte sie Linda erstickt. Und darum würde sie sich jetzt die Pulsadern aufschneiden. Richtet nicht zu

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