Jenseits des Bösen
Stadt erwähnte, die er gehört hatte. War hier nicht einmal vor Jahren etwas
vorgefallen? War ein alteingesessener Anwohner in der Nähe, so wurde die Unterhaltung rasch in weniger verfängliche Bereiche gelenkt. Obwohl in den dazwischenliegenden Jahren eine neue Generation herangewachsen war, herrschte unter den Ureinwohnern, wie sie sich selbst gerne nannten, immer noch die Meinung vor, daß man den Bund der Jungfrauen besser vergaß.
Aber es gab Menschen in der Stadt, die ihn nie vergessen konnten. William war selbstverständlich einer von ihnen. Das Leben der anderen verfolgte er immer noch. Joyce McGuire, eine stille, sehr religiöse Frau, die Tommy-Ray und Jo-Beth ohne Vater großgezogen hatte. Ihre Eltern waren ein paar Jahre 125
vorher nach Florida gezogen und hatten das Haus ihrer Tochter und den Enkelkindern überlassen. Sie blieb praktisch
unsichtbar hinter seinen Mauern. Hotchkiss, dessen Frau ihn wegen eines Anwalts aus San Diego verlassen hatte, der siebzehn Jahre älter als er selbst war, hatte nie verwunden, daß sie ihn verlassen hatte. Die Familie Farrell, die aus der Stadt weggezogen war, nach Thousand Oaks, um festzustellen, daß ihr ihr Ruf vorausgeeilt war. Sie waren schließlich nach Louisiana gezogen und hatten Arleen mitgenommen. Diese hatte sich nie wieder richtig erholt. William hatte gehört, es wäre eine gute Woche, wenn sie mehr als zehn Worte
aneinanderreihen konnte. Jocelyn Farrell, ihre jüngere Schwester, hatte geheiratet und war nach Blue Spruce zu-rückgekehrt. Er sah sie ab und zu, wenn sie Freunde in der Stadt besuchen kam.
Die Familien waren Teil der Geschichte von Palomo Grove; und obwohl William allen freundlich zunickte, wenn er ihnen begegnete - den McGuires, Jim Hotchkiss, sogar Jocelyn Farrell -, wurde doch nie ein Wort zwischen ihnen gewechselt.
Was auch nicht nötig war. Sie wußten alle, was sie wußten.
Und weil sie es wußten, lebten sie in ständiger Erwartung.
126
II
l
Der junge Mann war praktisch monochrom, das schulterlange, im Nacken wellige Haar schwarz, die Augen hinter der dunklen Brille dunkel, die Haut so weiß, daß er schwerlich Kalifornier sein konnte. Die Zähne waren noch weißer, aber er lächelte selten. Redete, nebenbei, auch nicht viel. Er stotterte in Gesellschaft anderer.
Sogar das Pontiac Kabrio, das er vor dem Einkaufszentrum parkte, war weiß, aber Salz und Schnee von einem Dutzend Wintern in Chicago hatten die Karosserie rostig werden lassen.
Es hatte ihn quer durch das Land gebracht, aber unterwegs war es ein paarmal dicht dran gewesen, den Geist aufzugeben. Der Zeitpunkt rückte näher, da er es auf die Felder führen und ihm den Gnadenschuß geben mußte. Falls die Einwohner derweil einen Beweis dafür brauchten, daß sich ein Fremder in der Stadt aufhielt, mußten sie nur die Reihe der Automobile entlang sehen.
Oder ihn ansehen. Er kam sich in seiner Cordhose und der zerschlissenen Jacke - zu lange Ärmel, zu eng über der Brust, wie jede Jacke, die er jemals gekauft hatte - hoffnungslos fehl am Platze vor. Dies war eine Stadt, wo sie den Wert eines Menschen nach dem Firmenaufdruck auf seinen Turnschuhen einschätzten. Er hatte keine Turnschuhe an; er trug schwarze Schnürschuhe, die er tagein, tagaus anhatte, bis sie
auseinanderfielen, und dann kaufte er sich ein identisches Paar.
Fehl am Platze oder nicht, er war aus gutem Grund hier, und je schneller er sich daranmachte, desto besser würde er sich fühlen. Zuerst mußte er sich orientieren. Er wählte einen Joghurtladen, weil das der am wenigsten besuchte in der Straße war, und ging hinein. Er wurde von der anderen Seite des Tresens so herzlich begrüßt, daß er fast dachte, er wäre erkannt 127
worden.
»Hi! Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich... bin fremd hier«, sagte er. Dumme Bemerkung, dachte er. »Ich meine, kann ich hier... kann ich hier irgendwo eine Karte kaufen?«
»Sie meinen von Kalifornien?«
»Nein. Palomo Grove«, sagte er mit bemüht kurzen Sätzen.
So stammelte er nicht gar so sehr.
Das Grinsen auf der anderen Seite des Tresens wurde breiter.
»Da brauchen Sie keine Karte«, lautete die Antwort. »So groß ist die Stadt nicht.«
»O. K. Wie ist es mit einem Hotel?«
»Klar. Kein Problem. Es gibt eins ganz in der Nähe. Oder ein neues, in Stillbrook Village.«
»Welches ist das billigste?«
»Das Terrace. Zwei Minuten Fahrt von hier, hinten um das Einkaufszentrum herum.«
»Klingt gut.«
Das Lächeln, das er als Antwort bekam, sagte:
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